Toedliche Wut
auf Hochtouren. »Wir können jetzt zusammen hier rausgehen und alles klären.«
»Ich habe nicht den Wunsch, diesen Ort zu verlassen.« Er lehnt den Spaten an die Wand und tritt zu mir, sieht auf mich hinab. »Ich werde die Arbeit, die Gott mir aufgetragen hat, nicht unterbrechen.«
Jetzt kann ich zum ersten Mal sein Gesicht gut sehen. Der Ausdruck darin wirkt zwar abgeklärt, doch sein Verstand sucht vermutlich nach einer Lösung für die unschöne Tatsache, dass ich sein unterirdisches Geheimnis entdeckt habe. Und mir wird klar, dass diese kalte, knallharte geistige Gesundheit viel angsteinflößender ist als Wahnsinn.
»Ich bin Polizistin«, sage ich. »Damit kommen Sie nicht durch. Aber wenn Sie jetzt aufgeben, werde ich alles tun, um Ihnen zu helfen.«
Er hält seine fraglos tödliche Waffe, ein .22er Jagdgewehr, in der rechten Hand. Doch auf so engem Raum wie in diesem Tunnel ist eine lange Waffe eher unhandlich. Wenn es zu einem Ringkampf zwischen uns kommt, könnte das ein Vorteil für mich sein.
»Ich werde mit meiner Arbeit hier nicht aufhören, Chief Burkholder. Es ist Gottes Wille, und ich werde ihn ausführen. Nichts, was Sie sagen oder tun, kann daran etwas ändern.«
»Mr Mast, ich habe meinen Kollegen Bescheid gesagt, dass ich hier bin. Jemand vom Sheriffbüro ist bereits auf dem Hof und sucht nach mir. Es ist vorbei.«
»Niemand weiß von dem Tunnel.«
»Ich habe ihnen davon erzählt. Sie werden meinen Wagen finden, es ist nur noch eine Frage der Zeit. Tun Sie sich selbst einen Gefallen und geben Sie auf.«
Mast starrt mich an wie eine unangenehme Aufgabe, die es zu erledigen gilt. In seinen Augen ist weder Hass noch Leidenschaft. Er sieht keinen Menschen vor sich, lediglich ein Hindernis bei seiner Mission. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass er mir Leid zufügen oder mich töten wird. Oder vielleicht mit den anderen zusammen anketten.
»Genug geredet«, sagt er. »Mein Werk hier ist größer als Sie und ich, und ich werde nicht zulassen, dass Sie mir in die Quere kommen. Sie werden mich nicht aufhalten.«
Ich starre ihn an, suche nach einem Weg, zu ihm durchzudringen. Doch inzwischen bin ich nicht mehr gelassen, sondern ein Nervenbündel, und das nicht grundlos: Meine Lage ist schlimm, er hat die Oberhand gewonnen, und das wissen wir beide.
Mast ist nicht besonders groß, vielleicht einen Meter achtzig, und mit seinen etwa achtzig Kilo zwanzig Kilo schwerer als ich. Mein Plus ist, dass ich dreißig Jahre jünger bin, körperlich fit und in Selbstverteidigung geübt.
Vorsichtig setze ich mich auf, versuche eine neue Taktik. »Gott würde Sie niemals bitten, anderen Menschen zu schaden. Gott will das Wohl aller. Er würde nicht von Ihnen verlangen, jemandem weh zu tun.«
»Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er, er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat.«
»Du sollst nicht töten.«
Mast stößt einen Seufzer aus, als wäre ihm nichts von alledem ein Vergnügen, sondern eine Last, die ihm ein gnadenloser Gott aufgebürdet hat. »Ich habe keinen Gefallen daran gefunden. Das mit Annie King war ein Unfall. Sie ist gerannt …« Er zuckt die Schultern, lässt den Satz unvollendet. »Es hat mir das Herz schwergemacht, aber das ist eine Last, die ich tragen muss. Ein Opfer, das zu bringen von mir verlangt wurde.«
Am liebsten würde ich ihm sagen, dass das ein Haufen gequirlter Mist ist, aber ich halte den Mund. »Sie tun anderen Menschen weh«, flüstere ich stattdessen. »Das verlangt Gott ganz sicher nicht von Ihnen.«
»Diese jungen Leute sind vom Weg abgekommen, Chief Burkholder. Damit haben Sie bei Ihrer Arbeit doch sicher auch zu tun. Unsere Jugend ist moralisch verdorben und geistig verarmt.« Er schüttelt den Kopf, ein von Enttäuschung gezeichneter Vater. »Ruth Wagler ist eine Sklavin des Kokains geworden. Sie hat ihren Körper verkauft, um dranzukommen. Bonnie Fisher hat ihr ungeborenes Kind getötet. Leah Stuckey hat ihren eigenen Onkel verführt. Die junge Sadie Miller teilt das Bett mit englischen Jungen, verschenkt freizügig ihren Körper. Sie trinkt Alkohol und hat den Kopf voll hochmütiger Vorstellungen.
Der Herr hat mir die schwere Bürde auferlegt, die Ungehorsamen und die Sünder zu bestrafen, und wenn sie Reue bekunden, wird Er sie wieder aufnehmen.« In seiner Stimme schwingt Leidenschaft mit. »Ich führe sie zurück auf den amischen Weg. Zurück zum Herrn. Genaugenommen rette ich also ihre Seelen, Chief Burkholder.«
»Indem Sie sie
Weitere Kostenlose Bücher