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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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auf. »Ich hab sie mal mit meinem fahren lassen, da hat sie den Briefkasten vom alten Heath umgenietet.«
    »Hast du etwa angenommen, sie ist zu Fuß weggegangen?«, fragt Tomasetti.
    »Oder den Bus genommen.« Seine Stimme klingt zunehmend streitlustig. »Hören Sie mal, ich bin ihr Freund, nicht ihr Aufpasser.«
    »Wie hast du sie kennengelernt?«, frage ich.
    »Sie ist auf der Straße gegangen, es hat geregnet, ich hab angehalten und sie gefragt, ob sie mitfahren will. Sie ist eingestiegen.« Er hebt die Schulter, lässt sie fallen. »Ich hab ihr ’ne Zigarette angeboten, und sie hat sie geraucht.« Er lächelt. »Es war echt komisch, weil sie ja diese Altfrauenkleider anhatte, Sie wissen schon, die amische Kluft. Wir haben uns sofort verstanden.«
    »Habt ihr eine Liebesbeziehung?«, fragt Tomasetti.
    »Na ja … wir sind Freunde … meistens.«
    Tomasetti stöhnt auf. »Justin, schläfst du mit ihr?«
    Er wird rot, was ich ihm zugutehalte. »Sieht so aus, ich meine, wir haben’s ein paar Mal gemacht. Aber wir waren kein Paar oder so. Ich bin noch nicht so weit, mich an die Leine legen zu lassen, das hab ich ihr von Anfang an gesagt.«
    Schweigen tritt ein, und wir stehen einfach nur da, sind in unsere eigenen Gedanken vertieft. Die zwei Mädchen beobachten uns von der Küche aus, essen Chips aus einer Tüte. Tomasetti will nicht zu ihnen hinsehen, schafft es aber nicht ganz.
    Ich sehe Justin an. »Wenn du so wild darauf bist, aus Buck Creek wegzukommen, warum bist du dann nicht mit ihr gegangen?«
    Er lacht. »Ich glaube kaum, dass das meinem Bewährungshelfer gefallen hätte.«
    * * *
    Ein paar Minuten später sitzen Tomasetti und ich im Tahoe und warten auf Goddard, damit wir losfahren können. Tomasetti starrt gedankenverloren aus dem Fenster, einen grüblerischen Ausdruck im Gesicht. Ich suche gerade nach den richtigen Worten, doch er kommt mir zuvor.
    »Was zum Teufel tun die Menschen ihren Kindern eigentlich an, Kate?«
    Solche Äußerungen bin ich von ihm nicht gewohnt. Normalerweise lässt er ein paar politisch unkorrekte Witze vom Stapel, ernste, philosophische Fragen stellt er nicht, so dass ich einen Moment brauche, um damit klarzukommen. »Nicht alle behandeln ihre Kinder so.«
    »Aber zu viele.«
    Ich will ihm widersprechen, doch er hat recht, und so lasse ich die Worte im Raum stehen. »Wir tun, was wir können, Tomasetti. Aber man kann auch nicht alles kontrollieren.«
    »Dieses Miststück da drin verdient keine Kinder.«
    »Ich weiß.«
    »Sie wird ihnen das Leben versauen, genauso wie sie ihr eigenes versaut hat.«
    »Das kannst du nicht wissen.«
    Er lacht bitter. »Seit wann bist du zum Optimismus konvertiert?«
    »Komm mir nicht mit Zynismus, Tomasetti.«
    »Genauso gut kannst du vom Meer verlangen, es soll nicht so nass sein«, sagt er freudlos und starrt aus dem Fenster. »Für uns ist so vieles selbstverständlich. Ich wünschte, ich hätte fünf Minuten mit meinen Kindern. Nur fünf lausige Minuten, um ihnen all das zu sagen, was ich nicht gesagt habe, als sie noch lebten.«
    Anspannung kriecht mir in Schultern und Nacken. Es ist das erste Mal, dass er so offen über seine Kinder spricht, seine Gefühle. Nie zuvor hat er mir gegenüber auch nur erwähnt, wie sehr ihn die Erinnerung schmerzt. Ich habe keine Kinder. Aber ich weiß, was es heißt, einen geliebten Menschen zu verlieren. Ich kenne diesen dunklen Ort und auch den Tribut, den so ein Verlust fordert.
    »So sind die Menschen nun einmal«, erwidere ich. »Wir nehmen die Dinge als selbstverständlich hin. Wir alle tun das.«
    Er sagt nichts.
    »Ich bin sicher, sie wussten, dass du sie liebst«, sage ich, ein wenig beschämt ob der Plattitüde.
    »Manchmal war ich so total in einen Fall involviert, dass ich sie tagelang nicht gesehen habe. Selbst wenn ich noch abends zu Hause gearbeitet hatte, habe ich ihnen keinen Gutenachtkuss gegeben, sie nicht ins Bett gebracht. Es gab Tage, da habe ich sie kaum wahrgenommen. Die Hälfte der Zeit hab ich sie nicht mal vermisst. Was für ein beschissener Vater ist das denn, der nicht mal seine Kinder vermisst?«
    Ich sehe zu ihm hinüber. Er umklammert das Lenkrad, starrt geradeaus, und ich denke: Mist. »Tomasetti …«
    Er sieht mich an. »Ich erinnere mich nicht einmal daran, was ich ihnen als Letztes gesagt habe, Kate. An dem Morgen hatte ich es eilig, wegen irgendeines dämlichen superwichtigen Meetings, das am Ende dann völlig belanglos war. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich sie das

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