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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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davor, etwas zu sagen, schluckt es aber klugerweise runter. Sein Gesicht scheint ausdruckslos, doch ich kenne ihn gut genug, um die Wut unter der ruhigen Oberfläche brodeln zu sehen. Ich weiß, dass seine Töchter etwa so alt wie diese Mädchen waren, als sie ermordet wurden.
    »Lass es gut sein«, flüstere ich.
    Er ignoriert meine Worte, sieht mich nicht einmal an. Doch er bleibt ruhig, und mehr kann ich in der Situation nicht erwarten.
    Unbeeindruckt von der kränkenden Behandlung ihrer Mutter, durchqueren die beiden Mädchen das Wohnzimmer, wobei sie uns weiter interessiert mustern. Sie tragen Shorts und T-Shirts, die zu eng sind und zu viel enthüllen für Mädchen in diesem zarten Alter. Erst jetzt fällt mir die elastische Binde am linken Handgelenk des größeren Mädchens auf, auch der faustgroße Bluterguss an ihrem linken Oberschenkel und noch einer hinten am Arm. Wer hat ihr die zugefügt und wie viel Gewalt gehört zum Alltag dieser Familie? Keiner von uns dreien sagt etwas, aus Rücksicht auf die beiden. Denn worüber hier gesprochen werden muss, ist für ihre jungen Ohren nicht geeignet, auch wenn sie wahrscheinlich schon viel Schlimmeres gehört haben.
    Die Hintertür knallt zu, und kurz darauf erscheint ein dunkelhaariger junger Mann im Zimmer. Justin Treece, das sehe ich sofort. Er ist etwa ein Meter achtzig groß, dürr, wie so viele junge Männer heutzutage, aber mit kräftigen, sehnigen Armen und der schlaksigen Haltung eines Straßenkämpfers, der auch schon mal zu unerlaubten Mitteln greift. Er trägt Baggy Jeans mit tiefhängendem Schritt – perfekt zum Verstecken einer Waffe –, ein schmutziges T-Shirt, und seine Füße stecken in abgetragenen Doc Martens. Beide Arme sind von den Schultern bis zum Ellbogen offenbar frisch tätowiert. Goldkette um den Hals, Goldringe in beiden Ohren. Er sieht uns an, als hätten wir ihn bei etwas Wichtigem unterbrochen und als müsste er so schnell es geht wieder weg.
    »Was ist los?«, fragt er und wischt sich die verschmierten Hände an einem orangefarbenen Putzlappen ab.
    Trina dreht den Kopf und sieht ihn an. »Ich weiß nicht, was du schon wieder angestellt hast, aber die Bullen hier wollen mit dir reden.«
    »Ich hab nix angestellt.« Er wirft seiner Mutter einen Blick zu, und eine Sekunde lang blitzt reiner Hass darin auf, dann wendet er sich uns zu. »Was wollen Sie von mir?«
    Ich hatte mir Justin Treece anders vorgestellt. Er ist attraktiv, mit dunklen, intelligenten Augen und dem gleichen verschlagenen Blick wie seine Mutter. Jemand, der weniger Lebenserfahrung hat, könnte ihn durchaus für einen anständigen, hart arbeitenden jungen Mann halten. Doch das äußere Erscheinungsbild kann trügen, das habe ich mittlerweile auch begriffen.
    Goddard verliert keine Zeit mit langen Vorreden. »Wann hast du Annie King das letzte Mal gesehen?«
    In seinen Augen flackert eine Gefühlsregung auf, die ich nicht deuten kann, dann wird sein Gesichtsausdruck hart. »Ich hab mich schon gewundert, dass Sie nicht schon längst hier aufgetaucht sind.«
    Tomasetti holt seinen Dienstausweis hervor und hält sie ihm hin. »Und warum?«
    Justin mustert ihn geringschätzig von oben bis unten. »Wenn hier in der Gegend irgendwas passiert, stehen die Bullen sofort bei uns auf der Matte. Ich bin sozusagen ihre erste Wahl.«
    »Wenn ein Mädchen vermisst wird, ist ihr Freund meistens einer der Ersten, mit denen die Polizei redet«, erklärt Goddard sachlich.
    »Ihr Problem«, erwidert Justin.
    Tomasettis Blick haftet beharrlich auf dem Jungen. »Hör auf, dich wie ein Vollidiot zu benehmen, und beantworte die Fragen des Sheriffs.«
    »Ich hab sie seit Tagen nicht gesehen.« Er zuckt die Schultern ein bisschen zu lässig, so als wäre ein vermisstes Mädchen nicht der Rede wert, ob Freundin oder nicht. »Aber ich hab gehört, dass sie verschwunden ist.«
    »Du scheinst dir ja keine allzu großen Sorgen um sie zu machen«, sagt Tomasetti.
    »Ich geh davon aus, dass sie abgehauen ist.«
    »Wie kommst du darauf?«
    Justin rollt die Augen. »Jeder unter achtzehn mit ’nem bisschen Hirn im Kopf sieht zu, dass er von so ’nem beschissenen Ort wegkommt. Außerdem hat sie diese ganzen bibelgläubigen Fanatiker gehasst.«
    »Meinst du die Amischen?«, frage ich.
    Er scheint mich erst jetzt wahrzunehmen und fragt sich wohl, warum ich hier bin. Ich zeige ihm meinen Dienstausweis.
    »Klar, wer sonst, die Amischen. Die behandeln sie wie Scheiße, und sie hat die Nase voll von dem

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