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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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erst als ich älter war, konnte ich mir eingestehen, wie sehr ich es hasste. Ich bin überrascht, wie schnell und lebendig mir jene Zeit wieder präsent ist und wie meine Sinne hierauf reagieren.
    Beim Betreten des Gebäudes erschlagen mich fast der Gestank von Dung und Dreck und der metallische Geruch von Blut. Eine Laterne, die an einem Draht zwischen zwei Dachbalken hängt, wirft gelbes Licht in alle Richtungen. Wenige Meter entfernt steht ein Buggy mit nur drei Rädern, die Doppeldeichsel hängt auf dem Boden. An der Wand lehnen eiserne Viehgitter, daneben liegt ein Aluminiumtrog auf der Seite. Rechts von mir stehen ordentlich aufgereiht etwa ein Dutzend mit Getreide gefüllte Leinensäcke auf der Pritsche eines Holzkarrens, der Boden darunter ist reichlich mit Körnern übersät. Geradeaus führt ein düsterer Korridor in den hinteren Teil des Gebäudes.
    »Hallo?«, rufe ich in die Dunkelheit vor mir und versuche, sie mit den Augen zu durchdringen. Rechts ist eine Treppe, die auf eine Art Dachboden führt. Ich will gerade ein zweites Mal rufen, als unverkennbar ein Gewehrschuss ertönt.
    Neben mir geht Tomasetti in Habtachtstellung und zieht seine Waffe. »Woher kam das?«
    Ich ziehe ebenfalls meine .38er. »Keine Ahnung. Vielleicht hinten aus dem Korridor.«
    Schallendes Gelächter bricht aus, und aus dem Schatten tritt ein eher kleiner amischer Mann mit ausgeprägten O-Beinen, Strohhut, hellblauem Arbeitshemd und dunklen Hosenträgern. Um die Hüfte hat er eine schwarze Gummischürze gewickelt, und er lacht sich schief – über uns.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Er hat die Worte kaum ausgesprochen, da fängt er wieder an zu lachen, beugt sich vornüber und schlägt sich auf die Knie. Als er sich wieder aufrichtet, laufen ihm Tränen über die Wangen.
    Ich schiebe meine Waffe zurück ins Holster und kämpfe gegen das Gefühl an, mich idiotisch benommen zu haben. »Mr Mast?«
    Tomasetti findet das gar nicht lustig, und er steckt auch die Waffe nicht weg.
    »Ich bin Benjamin Yoder.« Noch immer kichernd, wischt er sich die Tränen mit dem Ärmel von den Wangen und kommt zu uns gehumpelt. »Meine Frau und ich wohnen nebenan. Ich helfe Perry beim Schweineschlachten.« Er sieht Tomasetti amüsiert an. »Sie haben wohl geglaubt, die Schweine schießen zurück?«
    Tomasetti schiebt seine Waffe ins Gürtelholster. »Himmel nochmal.«
    Ich kann nicht anders und lache auch – ein herzhaftes Lachen aus voller Brust, dessen befreiende Wirkung guttut. Yoder fängt auch wieder an, und ich könnte schwören, dass Tomasetti sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann.
    Ich reiche Yoder die Hand. »Ich heiße Kate Burkholder.«
    Er schüttelt sie kräftig mit der rechten Hand und wischt sich mit der linken die Augen trocken. »Hallo Kate Burkholder. Das ist ein guter, kraftvoller Name.« Er wendet sich Tomasetti zu und gibt ihm ebenfalls die Hand.
    »Wir sind vom Bureau of Criminal Identification and Investigation in Ohio«, stellt Tomasetti uns vor. »Sind die Masts zu Hause?«
    Sofort wird Yoder ernst. »Gibt es Neuigkeiten von Noah?«
    »Leider nicht. Wir haben nur ein paar Routinefragen«, erklärt Tomasetti.
    Wir wissen beide, dass es für die Familien von Vermissten niemals mehr eine Routine geben kann.
    »Kommen Sie mit mir.« Yoder humpelt zurück in den Korridor. »Ich übernehme seine Arbeit, dann kann er mit Ihnen reden.«
    Ekel steht Tomasetti ins Gesicht geschrieben, als wir an einem Edelstahlbehälter voller Schweinefüße vorbeikommen. Ein Schlachthaus ist sicher der letzte Ort, wo er jetzt sein möchte, und ich könnte mir vorstellen, dass er eine Weile braucht, um seine Spareribs wieder richtig genießen zu können.
    Yoder führt uns einen kurzen Korridor entlang, an dessen Ende Laternenlicht durch eine große Tür fällt. Hier stinkt es noch intensiver nach frischem Dung und Blut. Rechts von mir dringt aus dem mit Eisengittern abgetrennten Gang das nervöse Quieken von Schweinen zu mir, und ich frage mich, ob die Tiere ihr Schicksal ahnen. Ich kann unsere Schritte auf dem Betonboden hören und meinen Herzschlag im Ohr, und obwohl ich nicht zimperlich bin, dreht sich mir der Magen um, als wir den Schlachtraum erreichen.
    Yoder geht zuerst hinein, Tomasetti und ich bleiben in der Tür stehen. Der Raum ist etwa vierzig Quadratmeter groß, und die Wände sind mit Wellblech verkleidet. Er ist zu warm und unangenehm feucht, doch der Gestank ist das Schlimmste. Mitten im Raum hängt ein totes Schwein an einem Bein

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