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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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an der Kette eines Flaschenzugs, der an dem massiven Eisenbalken der Decke befestigt ist. Ein zweiter Mann, vermutlich Perry Mast, steht mit einem großen blutverschmierten Messer neben dem Schwein. Im Betonboden verläuft eine Rinne, in die das Blut aus der Schweineschnauze tropft.
    »Ach du liebe Scheiße«, murmelt Tomasetti.
    »Vielleicht können wir die Unterhaltung nach draußen verlegen«, höre ich mich sagen.
    Yoder betrachtet anerkennend das Schwein. »Gut ausgeblutet, Perry«, sagt er.
    Der andere Mann dreht sich nicht einmal zu uns um. Er trägt Arbeitshandschuhe und fängt an, den gewaltigen Kadaver rüber zu einer großen, dampfenden Wanne zu schieben, dem sogenannten »Brühtrog«. Ich will nicht sehen, was als Nächstes kommt, und doch kann ich den Blick nicht abwenden. Mein Datt und mein Bruder haben das früher auch getan, das Schwein gebrüht und die Borsten dann mit einer Schelle abgeschabt. Yoder eilt zu Mast hin und hilft, den Kadaver über die Wanne zu befördern, ohne erst groß Handschuhe anzuziehen. Mit einem überdimensionierten Thermometer überprüft er noch schnell die Wassertemperatur, nickt, und dann lassen sie das Schwein mit Hilfe des Flaschenzugs ins heiße Wasser.
    »Mir hen Englischer besuch ghadde«, sagt er, als der Kadaver in der Wanne liegt. Wir haben Englische Besucher.
    Erst jetzt wirft Mast uns einen kurzen Blick zu. »Es waarken maulvoll gat.« Das kann nichts Gutes bedeuten.
    Yoder senkt die Stimme und erzählt ihm auf Pennsylvaniadeutsch, wie wir mit gezogenen Waffen dagestanden haben. Dabei fängt er wieder an zu lachen, kann sich noch immer köstlich darüber amüsieren. Masts Reaktion ist zurückhaltender, und würde ich ihn nicht so genau beobachten, wäre mir der Anflug eines Lächelns sicher entgangen.
    Er zeigt auf das Schwein. »Wenn die Haare leicht abzuschaben sind, hol’s raus. Dauert nicht lange.«
    Ohne uns anzusehen, zieht er die Handschuhe aus, bindet die blutverschmierte Schürze ab, wirft beides auf den Arbeitstisch und kommt zu uns. Perry Mast ist ein großer, dünner Mann mit hängenden Wangen und den wachen Augen eines Spürhundes. Er trägt schwarze Arbeitshosen, ein dunkelblaues Hemd, schwarze Hosenträger, schwarze Weste und einen flachkrempigen Strohhut.
    »Ich heiße Perry Mast«, sagt er.
    Tomasetti und ich stellen uns vor und sagen, dass wir vom BCI kommen. Keiner streckt die Hand zur Begrüßung aus.
    »Geht es um meinen Sohn?«, fragt er, ohne auch nur einen Schimmer von Hoffnung in der Stimme.
    Ich hätte gern gewusst, wie oft er diese Frage in den letzten neun Jahren schon anderen Gesetzesvertretern gestellt hat – und wie oft ihm die Antwort auch das letzte Fünkchen Hoffnung genommen hatte.
    »Nein, tut mir leid. Es geht um ein Mädchen, das vermisst wird«, sage ich. »Ein amisches Mädchen, Annie King.«
    »Ja.« Er schließt kurz die Augen. »Ich hab davon gehört.«
    Tomasetti zeigt zur Tür. »Ist Ihre Frau zu Hause, Mr Mast? Wir würden auch gern mit ihr sprechen.«
    Einen kurzen Moment scheint es, als wolle Mast nicht mit uns reden, doch dann lässt er die Schultern hängen und fügt sich mutlos. »Hier entlang«, sagt er und führt uns durch die Tür.
    * * *
    Kurz darauf sitzen Perry Mast, Tomasetti und ich am Tisch ihrer kleinen, vollgestellten Küche. Das Innere des Hauses ist kaum gepflegter als das Äußere. Dutzende Einmachgläser mit Obst und Gemüse sind über sämtliche Ablageflächen der avocadogrünen Unterschränke verteilt. In dem handbemalten Brotkasten – vielleicht von der Branch Creek Joinery – liegt ein krustiger Laib Brot, und auf dem dickbäuchigen eisernen Herd steht eine vielbenutzte gusseiserne Pfanne. Die offenen Schränke geben den Blick frei auf ein Sammelsurium aus blauem Plastik- und angeschlagenem Steingutgeschirr sowie zahlreiche verschlossene Honiggläser mit Wabenbrocken darin. Ein petroleumbetriebener Kühlschrank brummt laut vor sich hin. Selbstgemachte Gardinen schirmen das letzte Tageslicht ab, so dass die Küche etwas Höhlenartiges hat, was mir – zusammen mit dem Schwefelgeruch des Dungs – die Lust auf einen Kaffee gründlich verdirbt.
    Irene Mast steht an der Spüle und füllt Wasser in einen altmodischen Perkolator. Sie ist eine kräftige Frau, nicht viel größer als ein Meter fünfzig, mit schütterem Haar und einer kahlen Stelle am Hinterkopf. Sie trägt ein hellblaues Kleid, eine weiße Schürze und bequemes Schuhwerk. Sie hat noch kein Wort gesagt, seit wir vor ein paar

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