Toedliche Wut
dabei sein.«
Ich schüttele den Kopf. »Als ich ihre Mutter angerufen und gesagt habe, wir müssten mit der Tochter sprechen, schien sie nicht interessiert und hat auch keine Fragen gestellt. Ich glaube, sie hat sie nur hergefahren und ist gleich zurück an die Arbeit.«
»Nett.« Er seufzt. »Vielleicht haben wir ja Glück und sie erzählt uns, dass Sadie Miller in einem Tätowierladen in Wooster ist und sich die Augenbrauen piercen lässt.«
Doch ich befürchte, dass das Wunschdenken ist.
Als ich den Raum betrete, wird es augenblicklich still, und alle Blicke richten sich auf mich. Rasmussen hält sich zurück, überlässt mir die Bühne. »Ich weiß, dass Sie alle sehr beschäftigt sind, und danke Ihnen deshalb, dass Sie gekommen sind.«
»Als hätten wir die Wahl gehabt«, murrt Angi McClanahan.
Ich ignoriere ihren Kommentar und wende mich Matt Butler zu, der so vertieft in seine Texterei ist, dass das Haus um ihn herum einstürzen könnte und er es erst merken würde, wenn ihm ein Betonbrocken auf den Kopf fällt. »Als Erstes möchte ich alle bitten, die Handys auszumachen, und das gilt auch für dich, Matt.«
Der Junge blinzelt mich an, als wäre er gerade aus einem Traum aufgewacht, und folgt meiner Anweisung. Sein Vater knallt das BlackBerry auf den Tisch vor sich und gibt mir so unmissverständlich zu verstehen, dass er ein wichtiger Geschäftsmann ist und es nicht schätzt, seine Arbeit unterbrechen zu müssen.
Pech gehabt.
»Worum geht’s hier eigentlich, Chief Burkholder?«, fragt er.
»Sie will unsere Kinder drankriegen.« Kathleen McClanahan wirft mir einen gehässigen Blick zu. »Die sind einfacher einzuschüchtern als Erwachsene.«
Ich spare mir eine Antwort. »Die fünfzehnjährige Sadie Miller aus Painters Mill wird vermisst. Sie ist amisch und irgendwann letzte Nacht verschwunden.« Ich beobachte genau, wie die Anwesenden – besonders Lori Westfall und Angi McClanahan – auf die Nachricht reagieren.
Andy Butler wirkt angemessen entsetzt. »Mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung.«
Lori Westfall erstarrt, sieht überall hin, nur nicht zu mir. Ich versuche, ihre Körpersprache zu deuten, ihren Gesichtsausdruck, doch sie sitzt so steif und unnatürlich da, dass es mir nicht gelingt. Weiß sie etwas? Oder ist sie wie alle anderen erschrocken und von der Nachricht geschockt?
Kathleen McClanahan zeigt keine Reaktion. Die kaltschnäuzige Fassade ihrer Tochter Angi hat Risse bekommen, und bevor sie den Blick senkt, erhasche ich einen schuldbewussten Ausdruck in ihren Augen. Weil sie sich mit Sadie geprügelt hat? Oder hat sie einen anderen Grund, sich Vorwürfe zu machen? Es wäre nicht das erste Mal, dass sich bloße Feindseligkeit zu etwas weit Unheilvollerem entwickelt hätte.
Mein Blick streift über jeden Einzelnen der Anwesenden. »Ich muss hier und jetzt wissen, ob mir jemand sagen kann, wo sie ist.«
»Kann es sein, dass sie weggelaufen ist?«, fragt Andy.
»Im Moment kann alles sein«, erwidere ich.
Er sieht die beiden anderen Teenager an, als müssten sie – und nicht sein Sohn – die Antwort wissen.
Ich sage nichts, warte, beobachte.
Rasmussen steht an der Tür, hält sich weiter zurück. Doch er überblickt aufmerksam das ganze Szenario, und ich bin froh, dass er hier ist und mir später hilft, die Reaktionen der Anwesenden zu beurteilen.
Als keiner etwas sagt, wende ich mich an Lori Westfall. »Du zuerst. Komm mit.«
»Wo – wohin gehen wir?«, fragt sie ängstlich.
Ohne zu antworten, gehe ich los.
In meinem Büro setze ich mich an den Schreibtisch, hole Schreibblock, Stift und einen alten Kassettenrekorder hervor und bedeute Lori, mir gegenüber auf dem Besucherstuhl Platz zu nehmen. Sie hat nicht gemerkt, dass Rasmussen uns folgt, und erschrickt fast zu Tode, als er die Tür schließt und sich dagegen lehnt.
Ich stelle den Kassettenrekorder an, nenne Tag, Uhrzeit und die Namen der Anwesenden, dann wende ich mich dem Mädchen zu. »Erzähl mir als Erstes von deiner Beziehung zu Sadie.«
Lori starrt mich an, als bedrohe ich sie mit dem Messer. »Sie ist meine beste Freundin«, murmelt sie.
Mein Interesse steigt merklich. Ich wusste von der Freundschaft der beiden Mädchen, aber nicht, dass sie Busen freundinnen sind. Das ist ungewöhnlich, weil Sadie ja amisch ist. Ich bin zwar schon lange keine fünfzehn mehr, aber eins weiß ich noch genau, nämlich dass Busenfreundinnen sich alles erzählen.
»Wo habt ihr euch kennengelernt?«, frage ich.
»An der
Weitere Kostenlose Bücher