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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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Brücke, letzten Sommer.«
    »Dann kennst du sie schon fast ein Jahr.«
    Sie nickt.
    »Wie kam es, dass ihr euch angefreundet habt, wo sie doch amisch ist?«
    »Die meiste Zeit kommt mir Sadie nicht sehr amisch vor.« Ihr verhaltenes Lächeln verrät wahre Zuneigung. »Sie hat Jeans an und raucht und flucht. Manchmal vergesse ich, dass sie anders ist.«
    »Du scheinst nicht viel mit ihr gemeinsam zu haben«, sage ich in der Hoffnung, dass sie sich entspannt und weitererzählt, mir irgendetwas Nützliches verrät.
    Lori senkt den Kopf, so dass ihr die Haare rechts und links ins Gesicht fallen, als wolle sie sich dahinter verstecken. Und mir wird bewusst, dass dieses Mädchen extrem schüchtern ist. »Wir haben uns einfach sofort gut verstanden«, sagt sie. »Wir sind ja beide irgendwie Außenseiter, sie, weil sie amisch ist, und ich steh nicht auf das ganze Cliquengehabe.« Sie zuckt die Schultern. »Wir passen nicht dazu, aber wenn wir zusammen sind, ist das egal.«
    »Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«, frage ich.
    »Gestern am späten Nachmittag, so um sechs. An der Brücke.«
    »War sie da irgendwie anders?«
    »Nein, wie immer.« Der Hauch eines Lächelns umspielt ihren Mund, verfliegt aber gleich wieder. »Sie hat gejammert, dass sie kein Auto hat. Sie will unbedingt eins.«
    »Und warum?«
    »Hauptsächlich will sie einfach nur in der Gegend rumfahren.«
    »Hat sie mal davon gesprochen, aus Painters Mill wegzugehen?«
    »Wir reden immer davon, hier wegzukommen. Aber mehr so als Zukunftstraum. Sie hat all diese großen Pläne im Kopf, wie nach New York ziehen und Kleider entwerfen.«
    »Hat sie vor kurzem von New York gesprochen?«
    Sie schüttelt entschieden den Kopf. »Sie würde nie ohne mich gehen.«
    »Hatte sie Probleme zu Hause?«
    Sie nickt. »Ihre Eltern verstehen sie überhaupt nicht.«
    »Hat sie mit ihnen gestritten?«
    »Nein, kann man so nicht sagen. Aber ihre Eltern haben klare Vorstellungen, was Sadies Kunst betrifft. Sie scheinen einfach nicht zu begreifen, dass sie ein Teil von ihr ist.« Lori runzelt die Stirn. »Sie finden sie zu weltlich oder so.«
    Ich habe die Handarbeiten in Sadies Zimmer vor Augen und kann mir gut vorstellen, dass ihr Können nicht einmal von ihren amischen Altersgenossen geschätzt wird. Wie vieles andere, wird sie auch ihre Kunst aufgeben müssen, wenn sie erst einmal getauft ist. Die Vorstellung bereitet mir Bauchschmerzen.
    »Und wie ist ihr Verhältnis zu den anderen Amischen in der Gemeinde?«, frage ich. »Hat sie mal Probleme erwähnt?«
    »Nein.« Lori sieht mich offen an. »Aber sie hat ständig davon gesprochen, weg zu wollen. Sie will nicht mehr so leben und überlegt, sich nicht taufen zu lassen.«
    »Das hat sie dir erzählt?«
    »Ständig. Sie sagt, die Amischen flüstern hinter ihrem Rücken und beäugen sie argwöhnisch. Wenn sie getauft wird, muss sie alles aufgeben, ihr Handy, ihren Traum von einem Auto und davon, nach New York zu gehen. Sie muss ihre Kunst aufgeben. Das stinkt wirklich, finde ich.«
    »Hat sie jemals davon gesprochen, einfach wegzulaufen?«, frage ich.
    Lori zögert. »Manchmal«, sagt sie schließlich.
    »Glaubst du, dass sie jetzt weggelaufen ist?«
    Sie beißt sich auf die Unterlippe. »Das hätte sie mir gesagt.«
    An dem Punkt werde ich nicht weiterkommen. »Hat Sadie einen festen Freund?«, frage ich deshalb.
    Sie schüttelt den Kopf. »Sie findet, dass die Jungen in unserem Alter alle blöd sind.«
    »Lass uns noch mal über eure Treffen auf der Brücke reden, Lori. Hast du da irgendwelche Autos oder Buggys gesehen, die du nicht kanntest? Fremde Leute, die sich da rumgetrieben haben?«
    »Es sind immer die gleichen aus der Schule.«
    Ich schiebe ihr den Block und Stift hin. »Ich möchte, dass du die Namen von allen aufschreibst, die du in den letzten paar Wochen da gesehen hast.«
    Sie nimmt den Stift. »Das sind aber viele.«
    »Ich hab viel Papier.« Ich lächele sie an.
    Sie erwidert das Lächeln, schiebt die Zunge zwischen die Zähne und fängt an zu schreiben.
    »Was treibt ihr beiden denn so, wenn ihr euch an der Brücke trefft?«, frage ich im Plauderton.
    »Wir trinken Bier und rauchen.« Sie wirft einen Blick über die Schulter zurück auf Rasmussen und fügt schnell hinzu: »Ich meine Zigaretten.« Sie sieht mich an. »Sie sagen das aber nicht meiner Mom, oder?«
    »Darüber reden wir, wenn wir Sadie gefunden haben.«
    Das Mädchen starrt mich an, als würde ihr der Ernst der Lage gerade erst dämmern.

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