Toedliche Wut
der Deputy ein?«
»In zehn Minuten.«
»Ruf da sofort noch mal an, und in der Zwischenzeit tu mir den Gefallen und bleib dem verdammten Tunnel fern.«
Er legt auf, ohne sich zu verabschieden. Kopfschüttelnd drücke ich auf »Beenden«, tippe die Notrufnummer ein, habe die gleiche Frau von vorhin dran und nenne meinen Namen. »Ich muss wissen, wann der Deputy hier ist.«
»Er hat sich vor zehn Minuten auf den Weg gemacht.«
»Sagen Sie ihm über Funk Bescheid, dass er Sirene und Blaulicht anmachen soll.«
»Mach ich.«
Ich danke ihr, klappe das Telefon zu und schiebe es in den Gürtelclip. Der Tunnel scheint uralt zu sein, und ich leuchte mit der Taschenlampe hinab ins Loch. Und da sehe ich die Schuhabdrücke auf der Treppe im Staub – jemand muss vor kurzem da runtergegangen sein.
Ich habe mich schon fast dazu durchgerungen, rauszugehen und vor dem Schuppen auf den Deputy zu warten, als ein Schrei den lauten Regen übertönt. Es ist der Schrei einer Frau und bringt mich völlig aus der Fassung.
»Verdammt«, murmele ich, reiße die .38er aus dem Schulterholster, ziehe mit der linken Hand umständlich das Handy aus dem Gürtelclip und drücke WIEDERWAHL, habe die gleiche Frau aus der Notrufzentrale am Telefon. »Polizei, wie –«
»Hier passiert möglicherweise gerade ein Mord, ich brauche sofort Hilfe.«
»Ma’am, der Deputy ist in sieben Minuten –«
Der Rest des Satzes geht im donnernden Regen unter. Ich weiß nur, dass wer immer dort unten ist, nicht so lange warten kann. »Alarmieren Sie die Highway Patrol –« Ein weiterer Schrei ertönt in der Tiefe. »Und einen Krankenwagen.«
Der Schrei erschüttert mich bis ins Mark. »Verdammt.«
»Ma’am?«
Und in dem Moment weiß ich, dass ich mich nicht an die Vorschriften halten werde. Ich kann nicht hier stehen und warten, wenn irgendwo da unten einem Mädchen weiß Gott was passiert. »Sagen Sie dem Deputy, im Schlachtschuppen führt eine Treppe in einen unterirdischen Tunnel. Ich gehe jetzt da runter.«
Ich klappe das Telefon zu, schiebe es in den Clip, leuchte ins Loch und gehe langsam die Treppe hinunter.
20.
Kapitel
Bei dem, was ich gleich tun werde, bleibt keine Zeit, die Folgen abzuwägen, weil aufgrund der Umstände die Grenzen zwischen richtig und falsch verschwimmen. Auch meine persönlichen Gefühle lasse ich gleich außen vor. Ich weiß, dass es klüger wäre, draußen auf den Deputy zu warten, aber ich will diesem Mädchen sofort helfen.
Als ich die Treppe hinuntergehe, steigt mir der Geruch von feuchter Erde und morschem Holz in die Nase. Die Temperatur scheint bei jedem Schritt zu fallen, die Luft wird immer drückender. Das Trommeln des Regens auf dem Dach ist jetzt nur noch gedämpft zu hören, dafür rattert mein Herzschlag wie Maschinengewehrfeuer. Adrenalin durchflutet meinen Körper, lässt meine Ohren rauschen und meine Haut kribbeln.
Die .38er in der feuchten rechten Hand und die Mini-Maglite in der linken, bete ich zu Gott, dass die Batterien durchhalten. Ich habe keine Ahnung, wie alt sie schon sind. Der Schein ist viel schwächer als bei der großen Taschenlampe, die im Auto liegt, und ich habe sie überhaupt nur dabei, weil sie in die Jackentasche passt.
Ich neige nicht zu Klaustrophobie, doch als ich jetzt auf der untersten Treppenstufe stehe, überkommt mich eine tiefe Beklemmung. Der Tunnel ist etwa einen Meter breit und gerade hoch genug, dass ich aufrecht darin stehen kann. Baumwurzeln hängen wie Schlangen von der Decke. Ich gehe los, leuchte von einer Seite zur anderen.
Ein lang anhaltender Schrei stoppt mich, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Grauen liegt darin, Schmerz und Hoffnungslosigkeit – der Laut eines Menschen reduziert auf ein Tier. Ein paar Herzschläge lang stehe ich reglos da, alle Sinne auf die Dunkelheit vor mir konzentriert. Ich horche nach Schritten oder Stimmen, irgendetwas, das mir sagt, womit ich es hier zu tun habe. Doch ich höre nichts weiter als meinen keuchenden Atem und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.
Der Strahl meiner Taschenlampe zittert, und ich zwinge mich zur Ruhe. Beim Blick zurück über die Schulter sehe ich das einfallende Licht des Tunneleinstiegs, bin also gerade mal fünf Meter weit gekommen. Ich gehe weiter, meine Schritte sind kaum hörbar auf dem Boden aus Erde und Ziegelstein. Plötzlich steigt mir ein furchtbarer Gestank in die Nase. Nicht der von durchgesickerter Jauche, wie ich mir sofort einzureden versuche, sondern ein anderer, den
Weitere Kostenlose Bücher