Toedliche Wut
gedämpftes Schluchzen hinter der Tür. Ich drücke das Ohr ans Holz. Das ist kein bloßes Schluchzen, das sind die Laute menschlichen Leidens, eine beunruhigende Mischung aus Wehklage und Stöhnen. Eine Frau, glaube ich. Vielleicht Sadie? Ist sie allein, verletzt? Oder ist jemand bei ihr, fügt ihr Schmerzen zu – wartet auf mich?
Ich umschließe fest meine .38er, schiebe die Taschenlampe mit dem Strahl nach oben in den Hosengürtel und ziehe vorsichtig den Haken aus der Öse, der leise scheppernd ans Holz schlägt. Das Schluchzen stoppt, wer immer hinter der Tür ist, hat es gehört. Ich stoße sie mit dem Fuß auf und stürze hinein.
Die Tür schlägt gegen die Wand, Staub wirbelt auf. Ich stehe in einem kleinen Raum. Vor mir bewegt sich etwas, ich ziele mit der Waffe darauf, schreie: »Polizei! Keine Bewegung!«
Was ich dann sehe, ist so schockierend, dass mein Verstand streikt: Drei Mädchen, Teenager, verdreckt und in Lumpen gekleidet, sitzen keinen Meter voneinander entfernt auf dem Boden. Zwei der Mädchen sind nur noch Haut und Knochen, hohläugig, mit gequältem Blick. Ihre Haare sind verfilzt, die Gesichter schmutzverschmiert, die nackten Arme voller Schnitte und Schorf.
Der Raum ist etwa drei Quadratmeter groß und kühl und feucht wie ein Grab. Der Geruch von Kot, Urin und ungewaschenen Körpern schlägt mir entgegen. Die Mädchen sind an die Wand gekettet, die Handgelenke in den rostigen Eisenschellen blutverschmiert. Was in Gottes Namen geht hier vor?
Sekundenlang starren mich sechs Augen an wie ein Gespenst. Für den Ausdruck darin finde ich keine Worte.
»Ich bin Polizistin«, flüstere ich, lege den Finger auf die Lippen in der stummen Bitte, sie mögen ruhig bleiben. »Psst. Ich werde euch helfen, aber wir müssen leise sein. Habt ihr das verstanden?«
»Katie?« Das Mädchen ganz in der Ecke springt mit klirrenden Ketten auf die Füße. »Katie? O mein Gott, Katie !«
Es ist Sadie, so verdreckt, dass ich sie kaum wiedererkenne. »Ich hole euch hier raus«, sage ich. »Aber du musst leise sein.«
»Ich habe Angst«, flüstert sie.
»Ich weiß, Liebes.« Ich gehe zu ihr, sehe Dinge, die ich nicht sehen will und die mich noch lange in Albträumen verfolgen werden: Die Eisenschelle um ihr Handgelenk hat das Fleisch bis auf den Knochen aufgeschnitten und die Elle freigelegt. Ihre Hand ist geschwollen und voller Blut. Doch das Schlimmste ist, dass sie es nicht einmal zu spüren scheint.
»Wie schwer bist du verletzt?«, frage ich.
»Sie lassen uns verhungern. Mein Handgelenk ist wund.« Sie zeigt auf eines der beiden anderen Mädchen. »Mit ihr stimmt was nicht. Sie hat Fieber und ist verrückt.«
Ohne Vorwarnung stößt das Mädchen einen grauenerregenden Laut aus. »Auuuua«, heult sie. »Auuua …«
Die gleichen Schreie, die ich vorhin gehört habe. Ich trete schnell zu ihr. »Sei still«, flüstere ich. »Ich bin hier, um dich zu retten.«
Das Mädchen kriecht weg, zerrt an seiner Kette, schreit erneut.
»Halt den Mund!«, zischt Sadie und tritt mit dem Fuß nach ihr. »Mach, dass sie ruhig ist! Ihretwegen sterben wir noch alle.«
Ich werfe Sadie einen warnenden Blick zu, stecke die Pistole ins Holster und ziehe das schreiende Mädchen an den Schultern auf die Füße, schüttele es. » Sei still !« Ich sehe ihr in die Augen. »Bitte. Du musst leise sein. Verstehst du mich?«
Ausdruckslose Augen starren mich an. Tote Augen , denke ich, äußerlich ist sie zwar noch am Leben, innerlich aber so gut wie ausgelöscht.
»Alles wird gut.« Behutsam helfe ich ihr zurück auf den Boden, streiche ihr mit der Hand über den Kopf. »Wie heißt du?«
»Ich glaube, sie heißt Ruth«, flüstert Sadie. »Sie ist verrückt.«
Ruth Wagler. Seit vier Jahren verschwunden und immer noch am Leben.
Ich drehe mich um. Sadie hat trotz ihres zerlumpten Äußeren die Wildheit in den Augen nicht verloren, als würde sie auf jeden losgehen, der durch die Tür kommt, woran die Fessel sie nicht hindern könnte.
»Wer hat euch das angetan?«, frage ich.
»Der Diakon«, zischt das zweite Mädchen.
»Diakon?«, wiederhole ich.
»Ein Mann«, sagt Sadie. »Er ist alt.«
»Ein Paar«, wirft das Mädchen ein. »Ein verheiratetes Paar.«
»Die Masts?«, frage ich.
»Ja, genau!«, ruft Sadie.
»Die sind total durchgeknallt«, stößt das zweite Mädchen aus.
Beim Anblick der nässenden Wunden um ihren Mund zucke ich innerlich zusammen. »Wie heißt du?«, frage ich sie.
»Bonnie Fisher.«
Das Mädchen,
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