Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
freudiges Lachen, eher ein hysterisches. »Du glaubst, ich hätte ’nen psychischen Knacks? Da weiß ich jetzt aber nicht, ob ich das als Kompliment verstehen soll.«
»Erklär’s mir einfach«, lächelte Julia ruhig.
»Es ist meine Mutter, okay? Ja, jetzt ist es draußen.« Sabine atmete einmal tief durch, bevor sie fortfuhr. »Meine Mutter schluckt so ziemlich jeden Scheiß, nur nicht ihre Psychopharmaka, ihr Lover ist auch so ein komischer Kauz, ich bezeichne ihn immer als Soda-Freund, weil er einfach so da ist, aber sich einen Dreck um sie schert. Liebe ist das nicht, er schneit nur unregelmäßig vorbei, wahrscheinlich, wenn ihm die Kippen ausgehen oder der Alkohol oder er mal … na ja, so genau will ich das gar nicht wissen. Zusammenziehen wollen sie angeblich deshalb nicht, weil sie dann eine Bedarfsgemeinschaft wären und weniger von ihrem Hartz IV hätten. Das bedeutet für mich, dass niemand bei meiner Mutter lebt, der regelmäßig nach ihr sehen kann. Und hier fängt der Schlamassel an, meine Mom ist schizophren, genauer gesagt, sie hat psychotische Schübe oder Episoden. Das bedeutet, manchmal schließt sie sich tagelang in der dunklen Bude ein, wäscht sich nicht, das Essen vergammelt in der Küche, und es stinkt fürchterlich. Wenn ich ihr Tablettendosett anschaue, sehe ich, dass sie nichts genommen hat, und jeden Tag muss ich mir die Frage stellen, was sie gerade anstellt und ob sie nicht irgendwann nackt auf dem Kreisel am Heilsberg steht.«
»Ach du großer Gott«, murmelte Julia.
»Ja, das kannst du laut sagen. Wenn ich ihr die Medikamente gebe, dauert es eine halbe Ewigkeit, denn bei Psychopharmaka ist die Wirkung abhängig von einem gewissen Spiegel der Wirkstoffe im Kreislauf. So wie bei Stimmungsaufhellern, da braucht es auch zwei Wochen. Jedenfalls muss ich ihr die Tabletten dann täglich verabreichen, sonst ist ja keiner da, der sich da verlässlich drum kümmern würde. Irgendwann geht es ihr besser, dann geschieht das Übliche, und sie lehnt die Medikamente wieder ab. Es gehe ihr ja gut. Das Paradoxe dabei ist: Nur wenn man in guten Zeiten die Medizin weiternimmt, kann man dem Absturz vernünftig vorbeugen. Aber erkläre das mal einem Psychotiker«, seufzte sie, »da kommst du sehr schnell an deine Grenzen.«
»Und die Klinik unterstützt dich nicht?«, erkundigte sich Julia, die es noch immer kaum fassen konnte, dass Sabine einen solchen Kummer so lange vor ihr hatte verbergen können. Quälend drängte sich ihr der Gedanke auf, ob sie sich in all der Zeit zu wenig für Sabine interessiert hatte. Denn an Hellmers Leben und auch an den aktuellen Ereignissen im Hause Kullmer/Seidel nahm sie weitaus intensiver teil.
»Die Klinik unterstützt uns sogar sehr gut«, unterbrach Sabines bittere Stimme Julias Grübeln, »aber eben nur, wenn meine Mutter mitarbeitet und regelmäßig an den offenen Angeboten teilnimmt. Von Zwangseinweisen kann noch lange keine Rede sein, solange sie nicht nachweisbar sich selbst oder jemand anderen gefährdet, na, das weißt du ja selbst. Ich versuche sie so oft wie möglich dazu zu bewegen, aber es ist ein zäher, nervenaufreibender Prozess, und es wäre mir weitaus lieber, wenn wir das Ganze in Bad Vilbel oder meinetwegen auch in Frankfurt abhandeln könnten. Dann könnte ich viel schneller reagieren, die Wege wären kürzer, aber das wäre ja zu einfach.«
»Und wieso geht das nicht?«
»Weil wir schon zig Angebote durchhaben«, seufzte Sabine. »Mom ist da sehr wählerisch. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, sie spielt das auch ein wenig gegen mich aus. Dr. Meurer war vorher stundenweise in Bad Vilbel, das war eine wirklich gute Phase, wenn ich es mal so betrachte. Seit sie nach Friedrichsdorf gewechselt ist, lehnte meine Mutter alles, was danach kam, ab. Letzten Endes haben wir so etwas wie eine Vereinbarung getroffen: Sie macht etwas, aber es muss in Friedrichsdorf sein, und ich muss mit. Ein sehr instabiles Kartenhaus, das kannst du mir glauben, aber was soll ich tun?«
»Mensch, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, antwortete Julia nach einiger Zeit, sie hatte den Arm wieder um Sabine gelegt.
»Brauchst du auch nicht«, lächelte Sabine matt. »Nur häng es nicht an die große Glocke, ich habe dafür einfach keinen Platz in meinem Job, okay? Die Arbeit ist der einzige Bereich in meinem Leben, bei dem ich mich darauf verlassen kann, dass alles geregelt abläuft und mir nichts dazwischenspukt.«
»Ich gebe dir mein Wort darauf«,
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