Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
versicherte Julia ihr. »Aber nimm dir bitte einfach frei oder meinetwegen unbezahlten Urlaub, wenn du es brauchst. Das geht ohne Begründung, da biete ich Berger auch die Stirn, wenn’s sein muss. Nur tageweise krankschreiben lassen kannst du dich nicht mehr, das sorgt für miese Stimmung, du weißt ja, wie argwöhnisch er sein kann.«
»Ja, ich wusste mir zwischen den Jahren nur nicht anders zu helfen«, nickte Sabine bedröppelt. »Und ich will Michael da nicht so tief reinziehen, er weiß zwar mittlerweile Bescheid, aber das genügt auch. Er soll mich nicht der Dienststelle gegenüber decken, nicht in einen Loyalitätskonflikt geraten, und schon gar nicht möchte ich, dass er sich verpflichtet fühlt, mit mir hier rauszukommen. Das ist eine zu große Packung, und ich möchte nicht, dass unsere Sache daran kaputtgeht. So einen unkomplizierten Kerl findet man nicht alle Tage«, grinste sie, »und das, obwohl er an jedem Finger eine haben könnte, wenn er es darauf anlegen würde.«
»Ja, er ist ein netter Kerl«, nickte Julia nachdenklich.
Die beiden hatten noch eine Weile beisammen gesessen, dann war Sabine aufgebrochen in Richtung Taunusanlage, und Julia schlurfte in die Küche, wo sie sich einen Kaffee kochte. Es war ihr gleich, dass es schon so spät war, sie konnte auf Kaffee genauso gut schlafen wie andere auf Tee, und wenn sie keinen Schlaf fände, dann läge das gewiss nicht am Koffein. Sie bestellte sich eine Pizza und einen Salat bei einer Pizzeria mit Lieferservice und betonte nachdrücklich, dass sie keine Flasche Wein dazu haben wolle.
»Bestellungen über fünfzehn Euro innerhalb des Viertels bekommen immer eine Flasche Wein«, war die beharrliche Aussage der unterkühlt klingenden Frau am anderen Ende der Leitung.
»Ist mir egal, deshalb sage ich ja explizit, dass ich keine will«, gab Julia zurück. »Hier stehen mittlerweile ein halbes Dutzend davon rum, so viel kann ich gar nicht kochen, um das zu verwerten.«
»Trinken Sie ihn zum Essen, es ist ein guter Wein!«
Nein, ich stehe nicht auf Zuckerschock und Frostschutzmittel, hätte Julia am liebsten geantwortet, doch sie besann sich eines Besseren. »Soll ich den Salat stornieren, dann können wir uns die Diskussion sparen?«, erwiderte sie gereizt.
»Nein, schon gut, Sie müssen den Wein ja nicht nehmen«, brummte die Frau, deren Gesicht Julia nicht kannte, da sie die Pizzeria noch kein einziges Mal von innen gesehen hatte. Sie sprach beinahe akzentfrei, vielleicht die Frau des Besitzers, mutmaßte die Kommissarin, irgendwann solltest du dich ihr wohl mal vorstellen.
Mit angewinkelten Beinen, dem dampfenden Pizzakarton und einem halb aufgegessenen Salat kauerte Julia eine halbe Stunde später auf dem Sofa und las die Berichte der seriösen Tagespresse, dann die Regenbogenmagazine und zum Schluss die Revolverblätter. Überall schien man sich einig zu sein, dass Karl von Eisner vom Dach gesprungen war, aber die Berichte unterschieden sich deutlich in der Beurteilung des Motivs. Es war von einem schlechten Geschäftsjahr die Rede, von einer sich anbahnenden Ehekrise und, natürlich äußerst dezent, von einer Verzweiflungstat aus Schuldgefühlen wegen des toten Mädchens.
RETTETE DIESER SPRUNG EINEN MÖRDER VOR DER STRAFE?
Es dürfte nicht lange dauern, bis der verantwortliche Reporter eine saftige Klage am Hals hat, dachte Julia. Mittlerweile war sie bei den Internetmeldungen angelangt und wusste nur zu gut, dass die virtuelle Welt noch viel hemmungsloser war, als es Papiermeldungen jemals sein konnten. Dann wanderte ihr Blick auf die neueste Meldung des Stadtmagazins:
DER MÄCHTIGE IST GEFALLEN.
ALLE REICHTÜMER NÜTZTEN IHM NICHTS
AM TAGE SEINES GERICHTS
Ihr Blick erstarrte, dann sprang sie auf, der Pizzakarton segelte zu Boden, und sie hörte ein weiches Klatschen, als Salami und Käse auf den Boden trafen. Doch das war Julia vollkommen gleichgültig, fieberhaft durchwühlte sie das Altpapier im Abfallschrank in der Küche, rümpfte angeekelt die Nase, weil ein Joghurtdeckel dazwischengeraten war und ihr nun auf der Handfläche klebte. Irgendwo musste doch …
Endlich fand die Kommissarin das Objekt ihrer Begierde, einen postkartengroßen Flyer, die Vorderseite Hochglanzpapier, die Rückseite leer. Sie eilte zurück zur Couch, griff im Vorbeigehen einen feuchten Lappen und reinigte sich hastig die Finger, dann legte sie den Ausdruck und den Flyer nebeneinander und verglich mit pochendem Herz die Zeilen, die bis auf wenige Worte
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