Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
weiß, wie ich aussehen würde, wenn ich mich alleine mit Kindern durchs Leben schlagen müsste. Kinder, dieser Gedanke traf Julia stets ein wenig schmerzhaft und immer dann, wenn sie ihn überhaupt nicht gebrauchen konnte. Tja, dieser Zug ist für dich nun mal abgefahren.
»Ist ja kaum was zu erkennen«, holte die tiefe Stimme der Empfangsdame die Kommissarin aus ihrem unerfreulichen Gedankengang zurück. »Aber ja, das ist diese komische Putzfrau. Das habe ich Ihren Kollegen doch schon alles lang und breit erzählt.«
»Das wissen wir auch sehr zu schätzen, uns geht es aber wie gesagt um die Personen, die unmittelbar vor oder nach dieser Frau hereingekommen sind«, erklärte Julia ungeduldig. »Sind das zu dieser Tageszeit denn wirklich so viele?«
»Buch führe ich jedenfalls keines drüber, denn entweder haben sie eine Zugangskarte, die sie als Mitarbeiter ausweist, oder sie haben einen Termin. Einen Termin bei der Eisner Group allerdings gab es nicht, auch das habe ich bereits zu Protokoll gegeben.«
»Dennoch muss irgendwann ein dunkelhaariger, durchschnittlich gebauter und in einen Mantel gekleideter Mann in diese Etage gefahren sein«, beharrte Julia. »Und der Weg dorthin führt an Ihnen vorbei, oder übersehe ich da etwas?«
»Nein, aber ich sage Ihnen, da war niemand. Ich erinnere mich höchstens an Gert Hagen, der arbeitet als Broker und hatte angeblich etwas im Büro liegenlassen. Wenn Sie mich fragen, trifft sich der allerdings mit einer aus der Buchhaltung, aber das ist nicht mein Bier. Na, und dann Herr Gurt aus der EDV, aber der ist relativ groß. Netzwerkprobleme …« Frau Bluhm setzte das Wort mit den Fingern in Anführungszeichen. »Wenn Sie mich fragen, verdient sich da einer mit Überstunden eine goldene Nase und schiebt in Wirklichkeit eine ruhige Kugel. Ach ja, da fällt mir noch einer ein, Hubert Brack, das ist einer der Hausmeister.«
»Den kennen wir bereits«, nickte Julia und wunderte sich für einen Moment, dass die Bluhm nicht auch für ihn einen abfälligen Kommentar parat hatte so wie für die anderen beiden. »Sie kennen sich ja ganz gut aus in der Dynamik dieses Gebäudes, wie mir scheint.« Sie lächelte anerkennend.
»Wegen dieser Geschichten?« Frau Bluhm lachte kehlig auf. »Na, was soll man auch sonst machen, wenn man sich tagein, tagaus die Beine krummsteht. Ich könnte Ihnen eine Menge Geschichten erzählen über das Wer-mit-wem. Die meisten denken, wir bekommen hier unten nichts mit, und in dem Glauben sollen die mal schön bleiben.«
»Über Hubert Brack haben Sie aber nichts erzählt«, hakte Julia nach.
»Nein, da gibt’s nicht viel, denke ich. Ein armer Kerl, angeblich hing er mal an der Flasche und war obdachlos, aber das weiß keiner so genau. Dabei hat er einen ordentlichen Job gelernt und ist sehr pflichtbewusst, obwohl er hier nur für einen Hungerlohn arbeitet und dafür selbst an Feiertagen antanzen muss. Aber da geht es ihm nicht viel besser als mir«, seufzte die Bluhm. »Wir müssen eben mit dem durchkommen, was wir kriegen, was hilft alles Jammern?«
»Verstehe«, murmelte Julia.
»Um noch einmal auf Ihren Unbekannten zurückzukommen«, begann ihr Gegenüber, und Julia horchte auf. »Wir haben hier leider keine Stechuhr oder einen Meldecomputer, der uns verrät, wer sich innerhalb des Gebäudes befindet. Danach haben Ihre Kollegen nämlich auch schon gefragt. Es besteht daher auch die Möglichkeit, dass der Gesuchte sich schon den ganzen Tag über im Gebäude befand und einfach einige Etagen hoch oder runter in das Stockwerk der Eisner Group gefahren ist. Solche Bewegungen bekommt hier unten ja niemand mit. Aber viel Spaß dabei«, seufzte Margot Bluhm dann, »hier springen tagtäglich um die zweitausend Menschen herum.«
Enttäuscht verabschiedete sich die Kommissarin und verließ das Gebäude, nicht ohne noch einen suchenden Blick in Richtung der beiden Kameras zu werfen. Die Empfangsdame hatte ihr die Position der einen gezeigt, die zweite konnte Julia nicht entdecken. Sie überlegte kurz, ob sie sich im Präsidium nach dem Stand der Dinge erkundigen sollte, entschied sich aber zuerst für einen späten Imbiss.
»Du musst regelmäßig essen, nicht so sehr darauf achten, was du ist, aber stets im Auge haben, wie du es zu dir nimmst.« Diese weisen Worte ihrer besten Freundin Susanne Tomlin beherzigte Julia viel zu selten. Susanne lebte seit vielen Jahren in Südfrankreich, also dort, wo man sich auf genussvolles Essen verstand. Ein profanes
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