Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
dahinter und prüft dabei genau, wie viel die jeweiligen Informationen taugen. Technische Alibis besorgen kann sich jeder, und auf die Aussage einer loyalen Sekretärin verlasse ich mich nur, wenn sie klipp und klar darüber informiert wurde, dass eine Falschaussage erhebliche strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Ich mache mich jetzt auf den Weg zu Manduschek und lasse nicht locker, bis ich etwas aus ihm herauskitzeln kann. Wir können es uns jedenfalls nicht leisten, hier herumzulungern und auf zweideutige Diagnosen von Andrea zu warten.«
Oje, dachte sie sofort, jetzt tue ich aber jemandem gehörig unrecht. Doch zum Glück hörte die Rechtsmedizinerin Julias Worte ja nicht. Auf dem Weg nach draußen legte die Kommissarin einen kurzen Stopp beim Kaffeeautomaten ein, entschied sich dann jedoch gegen eine weitere Portion. Genug Koffein, entschied sie, denn sie wollte keinen weiteren Schweißausbruch riskieren, wenn sie in Manduscheks Büro saß.
Freitag, 10.07 Uhr
M it einem ungeduldigen Seufzer schob Julia den Ärmel ihres Mantels zurück und warf einen Blick auf die Armbanduhr. Ein Geschenk ihres Vaters zum dreißigsten Geburtstag, schlicht, in matt poliertem Silber mit dunklem Lederband. In den siebzehn Jahren hatte die Uhr gerade zwei Mal eine neue Batterie verpasst bekommen, und außerdem hatte die Kommissarin sich eine Ultraschallreinigung aufschwatzen lassen. Julia hielt dieses Geschenk ihres Vaters in Ehren, obwohl sie nur allzu gut wusste, dass er dabei einen Hintergedanken gehabt hatte.
»Du musst auf Pünktlichkeit achten«, hatte der Pastor sie ermahnt. »In Frankfurt ticken die Uhren eine Ecke schneller als bei uns, da handelst du dir rasch den Unmut deiner neuen Kollegen ein.«
»Aber pünktliche Menschen vergeuden Unmengen an Zeit mit dem Warten auf die Unpünktlichen«, war Julias Gegenposition gewesen. »Das ist in der Stadt nicht anders als bei dir im Gottesdienst.«
Obwohl Julia diesen Standpunkt damals hauptsächlich vertreten hatte, um ihren Vater zu necken, hatte es einen wahren Kern. Zum Beispiel gerade eben, der Zeiger kroch unaufhaltsam weiter, acht, neun Minuten nach zehn Uhr. Von Manduschek nichts zu sehen, seine Vorzimmerdame hatte die Nase in Unterlagen vergraben und vermied geflissentlich jeden Blickkontakt mit der Kommissarin. Die beiden Frauen hatten ihr Gift bereits zehn Minuten vorher versprüht, als Julia forsch und nach knapper Begrüßungsfloskel ein Gespräch mit dem Anwalt gefordert hatte.
»Morgen. Melden Sie mich bitte bei Manduschek an.«
»Sie schon wieder«, war die Reaktion der Sekretärin gewesen. »Haben Sie …«
»Einen triftigen Grund, hier zu sein«, hatte Julia sie sofort unterbrochen, »und kein Interesse, mit Ihnen herumzudiskutieren. Also, wenn ich bitten darf?«
Unverständliches murmelnd hatte ihr Gegenüber einen Knopf betätigt und sprach nach kurzem Warten in den Hörer: »Herr Manduschek, hier steht diese Kommissarin schon wieder … Wie? Ach so, das wusste ich nicht. Ja, ist in Ordnung.«
Mit zerknirschter Miene wanderte der Hörer wieder hinab, und ihre Hand deutete auf eine kleine Sitzgruppe in einigen Metern Entfernung.
»Herr Manduschek beendet noch ein Gespräch, dann ruft er Sie rein«, waren ihre frostigen Worte. Es war nicht zu übersehen, dass es ihr überhaupt nicht gefiel, wenn man Termine hinter ihrem Rücken vereinbarte. Genau das allerdings hatte Berger getan, um einen erneuten Ausweichversuch des Anwalts gleich im Keim zu ersticken.
Weitere fünf Minuten verstrichen, und die Kommissarin durchblätterte einen flachen Stapel juristischer Magazine und Wirtschaftsjournale. Nicht dass sie sich übermäßig für Modemagazine oder Boulevardblätter interessierte, aber der vorliegende Lesestoff war ihr dann doch eine Nummer zu trocken. Sie schloss für einen Moment die Augen und massierte sich die Schläfen, wohl darauf bedacht, ihrer neuen Feindin, die in fünf Metern Entfernung lauerte, keine Schwäche zu zeigen. Doch es lag ein unangenehmer Druck auf ihren Nebenhöhlen, dazu dieses seltsame Temperaturempfinden, und langsam wurde Julia klar, dass sie allem Anschein nach auf eine handfeste Grippe zusteuerte.
»Frau Durant?«
Manduscheks klare, laute Stimme durchbrach die monotone Geräuschkulisse, das klackernde Tippen, die entfernten Schritte und die gedämpften Dialoge, welche hinter den zahlreichen Türen geführt wurden. Die Kommissarin erschrak und schlug die Augen auf.
»Na, das wird aber auch Zeit«,
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