Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Colaflasche, es zischte kaum mehr, sie stellte sie seufzend wieder weg und zog die Vorratsschublade neben dem Kühlschrank auf. Ihr Blick wanderte über diverse Konservendosen, Gläser und Tüten, ein Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück, und sie zog eine Packung Tomatensuppe mit Reis hervor. Schneller und kalorienbewusster würde sie ihren Magen kaum füllen können, und dabei musste sie nicht einmal mit alten Gewohnheiten brechen. Was wäre mein Leben bloß ohne Tomatensuppe?, fragte sie sich im Stillen. Zufrieden rührte sie den Packungsinhalt in einen Topf mit Wasser und verschwand dann wieder im Bad, um eine Gesichtsmaske aufzulegen.
Um neun Uhr saß Julia eingerollt auf dem Sofa, satt, durchwärmt, im Hintergrund lief der Fernseher, und sie blätterte sich durch die Post. Der Stapel, der sich während ihrer Abwesenheit angesammelt hatte, war erstaunlich klein, das meiste davon war Werbung, dann ein Brief der Autoversicherung, die Telefonrechnung, alles nichts Besonderes. Neu hinzugekommen war heute lediglich eine Abholbenachrichtigung für eine Kleiderlieferung, auf die Julia eigentlich schon vor ihrer Abreise gehofft hatte. Dann ein Elektronik-Katalog, wie üblich mit neuen Superangeboten für diejenigen, die ihres Weihnachtskonsums bereits überdrüssig waren, und zu guter Letzt eine Postwurfsendung der Pfarrgemeinde, ein Infoflyer einer kleinen Partei, die sich in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Wahl aufstellte. Müde wollte Julia das ganze Bündel beiseiteschieben, um es bei Gelegenheit ins Altpapier zu befördern, da fiel ihr ein postkartengroßer Flyer auf, ganz schlicht in Weiß, mit schwarzer Druckschrift. Die Rückseite war unbedruckt, kein Hinweis auf eine Partei, einen Verein oder eine Glaubensgemeinschaft.
In drei Zeilen stand auf der glänzenden Vorderseite geschrieben:
DIE MÄCHTIGEN WERDEN FALLEN.
ALLE REICHTÜMER NÜTZEN NICHTS
AM TAGE DES GERICHTS
Dienstag
Dienstag, 4. Januar 2011, 6.55 Uhr
K arl von Eisner verlangsamte seine Schritte, bis er fast auf der Stelle trat. Er atmete schnell, war wie jeden Dienstag um halb sieben zur morgendlichen Joggingrunde gestartet. Fünf Kilometer mindestens, zehn höchstens. Fitness jenseits eines gewissen Alters hatte eben ihren Preis und lieber dreimal pro Woche einen solchen Lauf, anstatt nur einmal auf ein opulentes Mahl zu verzichten, war seine Devise. Es war überall noch dunkel, die kalte Luft brannte beim Einatmen bis in die letzte Spitze seiner Lungenflügel. Irgendwann nach Mitternacht musste es Neuschnee gegeben haben, einhergehend mit einem Temperaturanstieg bis kurz unter den Gefrierpunkt. Die Luftfeuchte war dementsprechend hoch, er richtete sein Halstuch und zog es hoch bis über die Nase. Dann setzte von Eisner seinen Lauf fort.
Sollte er wirklich eine Runde über das gewisse Viertel in Oberrad drehen, nur um zu sehen, wie es um die Mietwohnung bestellt war? Was sollte dort schon sein, wahrscheinlich würde Laras Fahrrad noch vor dem Eingang stehen, obgleich er ihr hundertmal gesagt hatte, dass sie es auf der Rückseite abstellen sollte. Doch sie kettete es immer wieder an diesen unseligen Pfahl, so sicher, dass es nicht ohne weiteres wegzutragen war, schon gar nicht, wenn man kein Werkzeug und keine Zeit dafür hatte. Und erst recht nicht, ohne dabei den Nachbarn aufzufallen. Diskretion, das hatte von Eisner schmerzhaft erlernen müssen, war einer der am meisten unterschätzten Faktoren in der heutigen Zeit.
Er beschloss, seine Runde nicht zu verändern, was bedeutete, dass er auch heute über Oberrad laufen würde, wer sollte ihn schon erkennen, so früh, im Dunkeln, ganz in Schwarz gehüllt und mit halb vermummtem Gesicht? Ich muss ja nicht anhalten, war sein Entschluss, und tatsächlich war ein durch den Schnee rutschendes Auto mit heulendem Motor alles, was ihm begegnete. Der Fahrer war viel zu konzentriert darauf, den Bordstein nicht zu streifen, als auf einen Jogger zu achten. Tatsächlich sah Karl von Eisner kurz darauf das Fahrrad am Zugangsweg stehen, die Fenster waren dunkel, die Tür geschlossen. Alles so, wie es sich gehörte, und doch stand ein Chaos bevor.
Diese verdammten Bullen, dachte er, und dieser verdammte Manduschek. Er wusste nicht, wen er mehr dafür verachten sollte, dass ihn tatsächlich ein Richter dazu verdonnert hatte, eine Speichelprobe abzugeben. Unglaublich. Er beschleunigte seinen Lauf, um den Frust loszuwerden, ihn kraftvoll in den Schnee zu stampfen und hinter sich zu lassen. Wenn es doch
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