Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
hatte. Besser hätte es kaum laufen können. Niemand weiß, dass du hier bist, dachte Arthur.
Er betrat den Wohnwagen, in dessen Innerem es angenehm warm war, zog einen Sechserpack Eier aus der breiten Tasche seines Mantels und eine Packung Pumpernickel aus der anderen. Arthur setzte eine Pfanne aufs Kochfeld, entzündete die Flamme und schlug sich kurz darauf zwei der großen braunen Eier am Rand auf. Für einen Moment hielt er inne, dann nahm er noch ein drittes Ei aus der Packung. Rührei, keine Spiegeleier, entschied er spontan, und wenige Minuten später saß er mit zwei Scheiben Brot, einem Glas Milch und der duftenden Eiermasse am Tisch. Hochkonzentrierte Energie, analysierte er zufrieden, und anstatt sich seine Mahlzeit jagen zu müssen, hatte er sie einfach einsammeln können. Evolution, Sesshaftigkeit, Tauschhandel, Kapitalismus. Die Menschheit hatte sich konsequent weiterentwickelt, da konnten weder die Bibel noch Marx und Engels etwas daran rütteln. Und ich habe mir meine Kräfte aufsparen können, dachte Arthur Drechsler grimmig, denn seine Jagd stand noch bevor.
Er durchblätterte zwei Tageszeitungen, fand jedoch keine Meldung, die ihn interessierte. Kein Hinweis auf Lara Emmels, keine Schlagzeile à la »Mord im Bankenviertel«, überhaupt nichts. Aber es war noch zu früh, wie er sich in Erinnerung rufen musste, um seine aufkeimende Ungeduld zu besänftigen. Lass den DNA-Test kommen, lass von Eisner seine Armee aufstellen, hinter der er sich feige zu verbergen sucht, lass die Ermittler alle Spuren auswerten.
Dasselbe galt für Stefan Löbler. Ob es überhaupt eine Meldung geben würde, war unsicher. Aber so etwas kann man ja auch forcieren, entschied Arthur für sich, das musst du heute nicht entscheiden. Viel wichtiger ist die persönliche Buße, und Buße tun, mein lieber Stefan, das wirst du. Dafür sorge ich, auch wenn du es noch nicht im Traum ahnst. Das wahrlich Schlimme, auch wenn du jetzt schon tief betroffen über den Tod deiner ach so lieben Frau sein magst, steht dir noch bevor. Es hatte etwas Biblisches, das war Arthur durchaus bewusst, denn er hatte die betreffenden Stellen gelesen. Auch im Koran gab es entsprechende Suren, ja, selbst der Buddhismus setzte sich mit Buße, Rache und Vergeltung auseinander.
Arthur Drechsler war bestens vorbereitet, alles lief nach Plan. Abgerechnet wird zum Schluss, dann, wenn es am meisten weh tut, schloss er mit einem hämischen Grinsen und verschlang genüsslich den letzten Bissen seines Rühreis.
Montag, 19.50 Uhr
M üde und abgespannt erreichte Julia Durant ihre Wohnung in der Nähe des Holzhausenparks. Der Tag hatte sie geschafft, besonders weil sie das Gefühl hatte, unterm Strich so gut wie nichts erreicht zu haben. Die Identität des toten Mädchens im Müllcontainer allein brachte den Ermittlern nicht viel, und die bisher gesammelten Aussagen halfen ihnen bislang auch nicht weiter. Es war das übliche Geduldsspiel, abwarten, quer durch die Stadt fahren, Protokolle schreiben und wieder warten. In all den Jahren hatten diese zähen Phasen der Kommissarin mehr zu schaffen gemacht als alles andere. Andererseits, kam ihr in den Sinn, als sie die Wohnungstür ins Schloss drückte und sich aus ihrem Mantel pellte, sind gerade diese ersten Vernehmungen die interessantesten. Wenn ich einem potenziellen Tatverdächtigen zum ersten Mal begegne, zieht er, wenn er tatsächlich etwas zu verbergen hat, eine gute Show ab. Und diese Show bröckelt nach und nach, je enger sich die Indizien und Verdachtsmomente um ihn schließen. Diese Erfahrung anderen zu überlassen, so wusste Julia nur allzu gut, wäre noch viel schlimmer. Also schrubben wir auch morgen wieder einiges an Kilometern, resümierte sie seufzend, aber wenn es der Sache dienlich ist, dann sei es so. Doch sofort stieg ein bitterer Gedanke in ihr auf und erinnerte sie daran, dass in diesem Fall, vielleicht sogar in beiden Fällen, eine Menge kampfeslustiger Anwälte nur darauf warten würden, ihrem Team das Leben schwerzumachen. Grund genug, erschöpft zu sein, und höchste Zeit für die Wanne.
Julia trottete ins Bad, schaltete dabei in der Wohnung nur so viele Lampen ein wie nötig und ließ sich Wasser ein. Für einen Moment hielt sie inne, ein Gedankenfetzen jagte durch ihren Kopf, als sie in die Wanne blickte: Nathalie Löbler. Doch Julia verjagte diesen Gedanken, ging in die Küche und kramte aus dem hohen Besenschrank einen Karton mit Duftkerzen hervor. Lavendel oder Vanille, sie entschied
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