Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
günstig, wir haben ein Weilchen zu fahren, die Kerle sind im Präsidium, da kann man doch mal ein ungezwungenes Gespräch von Frau zu Frau führen, oder?«
»Hmm. Ein Gespräch von einer vorgesetzten zu einer untergebenen Frau, oder wie muss ich mir das vorstellen?«, erwiderte Sabine argwöhnisch.
»Ach komm«, gab Julia zurück, »wie lange gehörst du jetzt schon ins Team? Im Sommer werden es vier Jahre, okay, eines davon war ich in Auszeit, aber hast du bei uns jemals eine ausgeprägte Hierarchie gefühlt? Selbst Berger hält das meistens recht flach, wenn ihm nicht gerade die Vorgesetzten auf den Fußzehen stehen.«
»Ja, schon«, gab Sabine zu. »Aber ich habe eben auch eine Geschichte, ein Privatleben, ein Sammelsurium an weniger erfreulichen Erfahrungen. Das versuche ich, nicht mit zur Arbeit zu bringen, und wenn ich da manchmal eine zu deutliche Grenze zwischen Job und Privatem ziehe, will ich damit niemand zurückweisen.«
»Reden wir von Michael Schreck?«
»Auch. Aber ich weiß nicht, ob ich mit dir über Michael reden möchte. Nicht bei eurer Vorgeschichte.«
»Vorgeschichte?« Julia zuckte zusammen und hob die Augenbrauen. »Hat er was erzählt?«
»Michael erzählt gar nichts«, verneinte Sabine, »da sind wir uns in gewisser Weise ähnlich. Ich habe ihn allerdings auch nie gefragt. Aber damals, als du und ich einmal bei ihm im Labor waren, und dazu im Laufe der Zeit der eine oder andere Kommentar von dir … Ihr habt doch gewiss etwas miteinander gehabt, zumindest ein paar Dates, oder etwa nicht? Ich meine, es wäre ja nicht schlimm, wir wissen doch alle, dass die meisten Beziehungen am Arbeitsplatz …«
»Da war überhaupt nichts«, unterbrach Julia sie ein wenig harsch, wie sie sofort bemerkte. Versöhnlich ergänzte sie daher: »Einmal wollte er mit mir losziehen und mich in Sachen Computer beraten. Das ist gut und gerne fünf, sechs Jahre her, und daraus ist nie etwas geworden. Mag sein, dass er damals Ambitionen hatte, vielleicht auch nicht, und er hat es einfach nur gut gemeint. Aber ich hatte damals ganz andere Sachen im Kopf und auf dem Herzen. Selbst wenn da also etwas war, hätten meine Antennen das damals überhaupt nicht wahrgenommen, dafür war ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt.«
Julia Durant erinnerte sich nur allzu gut an die Trennung von ihrem damaligen Partner und an den Selbstmord von Michael Schrecks Kollegen vor ihren Augen. Es waren düstere Bilder, die sie wohl niemals vergessen würde. Nein, damals war alles andere als eine gute Zeit für eine neue Beziehung gewesen, schon gar nicht zu einem Kollegen.
»Außerdem hatte ich mir schon lange vorher die eiserne Maxime gesetzt, mir meine Männerbekanntschaften niemals innerhalb des Präsidiums zu suchen«, schloss Julia.
»Da sagst du was«, lächelte Sabine matt.
»Auch ein gebranntes Kind, wie?«
»Allerdings. Ist eine halbe Ewigkeit her, ganz am Anfang, bei der Sitte. Das Problem ist, dass man hinterher entweder als Flittchen angesehen wird oder nicht mehr mit der betreffenden Person in einem Team arbeiten kann. Oder beides.«
»Aber mit Schreck läuft es?«, erkundigte sich Julia.
»Ja, wir lassen das ganz langsam angehen, und er ist so unglaublich genügsam. Manchmal sehen und hören wir uns zwei Wochen lang nicht, aber er beklagt sich nie, und irgendwie kommen wir damit gut zurecht.«
»Solange er das auch so sieht«, murmelte Julia, die gerade angestrengt über eine Kreuzung manövrierte. »Dann bin ich ja froh, dass es nicht aus dieser Richtung zu kommen scheint«, ergänzte sie.
»Was meinst du mit es? «, fragte Sabine, und der gereizte Unterton war zurückgekehrt.
»Die Migräne, kein Grund, dass wir streiten«, verteidigte sich Julia. »Ich wollte dir nichts weiter als mein Ohr anbieten, ich habe ja selbst schon das eine oder andere Päckchen zu tragen gehabt, manchmal hilft’s.«
»Mag sein. Aber das möchte ich lieber selbst entscheiden«, brummte Sabine und zog demonstrativ eine zusammengerollte Tageszeitung aus ihrem Mantel, um darin zu blättern. Das Gespräch war für sie beendet.
Zehn Minuten später betraten Durant und Kaufmann das Klinikgebäude, sie durchschritten einen langen, breiten Gang. Die Kommissarin hatte sich gewundert, wie zielstrebig ihre junge Kollegin sie die gewundene Zufahrt inmitten des Waldes entlangdirigiert hatte, die Zufahrt war stellenweise gefroren gewesen, und an den Straßenrändern türmten sich die von Räumfahrzeugen angehäuften Schneeberge.
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