Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
nur so einfach wäre. An einer Fußgängerampel musste Karl von Eisner anhalten, er kümmerte sich üblicherweise nicht um Lichtsignale, da er ungern anhielt, um den Pulsschlag nicht zu verlangsamen. Doch die Stadt erwachte nun zum Leben, gegenüber strömten dick eingemummelte Menschen in einen Bäckerladen hinein und mit Kaffeebechern und Brötchentüten wieder aus ihm heraus. Auf vier Spuren warteten länger werdende Schlangen ungeduldiger Autofahrer. Die Autos, die nordwärts in Richtung City wollten, waren überwiegend neuer und größer als jene, die in die Gegenrichtung fuhren. Eine interessante Beobachtung, die der Direktor heute nicht zum ersten Mal machte. Jeder so, wie er es verdient, dachte er mürrisch, wir werden schließlich alle mit denselben Voraussetzungen geboren. Der Stärkere kommt voran, der Schwächere arbeitet ihm zu. So war es, und so wird es immer sein. Daran konnte selbst sein rachsüchtiges Weib nichts ändern, und Karl hasste es, schon wieder daran denken zu müssen, was ihm in den kommenden Tagen bevorstand. Der Ehevertrag war lückenlos, kaum ein Hintertürchen würde ihn schützen können, wenn es einen ausgewachsenen Skandal um seine Affäre mit Lara geben würde.
Es ist noch nicht zu spät, dachte er grimmig. In einigen Stunden würde sein Anwalt, nein, besser ein ganzes Heer von Anwälten auflaufen und alle Eventualitäten durchspielen, um ein Worst-Case-Szenario auf das Minimum zu reduzieren. Wenn es eine schmutzige Trennung geben sollte, dann aber ohne den von Sophie prophezeiten Super-GAU. Villa oder Firma, Vermögen oder Aktien, irgendeine Möglichkeit würde es geben. Und wenn die Rechtsmittel nicht helfen, so hatte Karl von Eisner längst beschlossen, dann stopfe ich ihr anderweitig das gierige Schandmaul.
Don’t mess …, dachte er grimmig, als er die Ampel gerade überquert hatte und, noch immer langsam trappelnd, auf einen schmalen Weg einbog. Da durchfuhr ihn ein markerschütternder Schreck, als sich ihm plötzlich von hinten ein Arm um den Brustkorb schlang und sofort darauf ein zweiter Arm einen Würgegriff anlegte. Kläglich hilflos hing er, mit nach hinten gedehntem Hals, vor seinem Angreifer, von dem er nichts weiter sah als eine schwarze Maske und dessen Armbeuge sich eisern über seine Luftröhre presste.
»Büßen wirst du«, zischte es, und die Stimme betonte die drei Worte, als kämen sie durch einen breitgezogenen Mund und kaum geöffnete Zähne. »Büßen wirst du für deine Sünden, du elendes Schwein.«
Karl bekam Panik, er konnte nicht atmen, ihm fehlte die Kraft, sich freizuwinden, und das, obwohl sein Angreifer weder größer noch stärker zu sein schien als er. Doch er konnte nicht klar denken, war überwältigt von dem Hinterhalt und geschwächt durch seinen Dauerlauf. Die Knie wurden ihm weich, dann ein durchdringender Schmerz, als ihn das Knie des Fremden hinterrücks in die Kniekehle traf und er sich vor Schmerz verkrümmte. Im selben Moment löste sich der Würgegriff, und bis er sich taumelnd in einen stabilen Stand bringen und umblicken konnte, war niemand mehr zu sehen. Von gegenüber glotzten zwei Passanten, ohne anzuhalten. Asoziales Pack, dachte er wütend und ließ sich auf eine Steinmauer sinken, und es war ihm völlig gleich, dass er sich in zwei Zentimeter hohen feuchten Schnee setzte.
Was war das eben?, rätselte er. Wer war das?
Er entwickelte das Halstuch und gierte nach frischer Luft, versuchte dann aber, seinen Atem zu beruhigen, und maß seinen Pulsschlag. Hundertfünfzig. Es fühlte sich schneller an, außerdem schien das Herz zu stolpern, doch Karl wusste, dass dies nur Einbildung war. Rational bleiben, mahnte er sich, denk nach, was eben geschehen ist.
Doch sosehr er sich auch das Hirn zermarterte, Karl von Eisner kam zu dem Schluss, dass er nicht einmal sicher sein konnte, ob sein Angreifer ein Mann oder eine Frau gewesen war.
Zeit, die Dinge in die Hand zu nehmen.
Mit diesem wütenden Vorsatz erhob er sich, klopfte den Schnee von seinem durchnässten Gesäß und humpelte mit schmerzenden Sehnen im rechten Kniegelenk weiter, so lange, bis auch das letzte bisschen Schmerz sich in wütende Rage verwandelt hatte.
Dienstag, 8.20 Uhr
D ie Dienstbesprechung war sehr kurz ausgefallen. Hellmer hatte bei Berger angerufen und zerknirscht berichtet, dass er auf der A66 stünde, wo er sich seit bestimmt einer Viertelstunde keinen einzigen Meter mehr vorwärtsbewegt habe. Warum, das wusste er auch nicht genau, denn im Radio war
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