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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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Aufenthalt.
    Die Flure waren mit Perserteppichen ausgelegt. Offenbar legte das Hotel auch Wert auf lautlose, diskrete Fortbewegung. Interieur und Zimmer waren im Stil der Belle Epoque eingerichtet, um dem Ganzen den romantischen Touch der Welt von gestern zu verleihen.
    Endlich Ruhe!, dachte Tom und warf sich auf den sonnenblumengelben, gepolsterten Überwurf des weichen Bettes. Am liebsten hätte er sich gleich schlafen gelegt, aber ihm lief die Zeit davon. Wenn Cathrine ihm auf den Fersen war, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis er identifiziert und geschnappt werden würde. Er musste seine Hausaufgaben machen, wollte er überhaupt eine Chance haben.
    Also stand er wieder auf, zog die Vorhänge zu und machte alle Lichter an. Sein Zimmer, hellbeige und mit Blattgoldzierleisten tapeziert, war hübsch eingerichtet, die Decke mit kleinen, pummeligen Cherubinen bemalt, die Liebespfeile verschossen. Andere spielten auf der Leier oder Posaune. Der Schreibtisch war Wiener Klassik und hätte aus Mozarts Nachlass stammen können. Tom setzte sich, öffnete die Tasche und ging den Inhalt durch. Als Erstes wollte er versuchen, sich in den Laptop einzuloggen.
    Natürlich war der Rechner mit einem Passwort gesichert. Er gab »James Medina« ein und bekam mitgeteilt, dass dies das falsche Passwort sei. Danach probierte er es mit »Arpata2009« und wurde wieder abgewiesen. Tom stellte den Laptop beiseite und widmete sich den anderen Gegenständen, die er zusammengerafft hatte: Quittungen, Bankauszüge und diverse Mappen. Er schlug eine davon auf und spürte, wie sein Puls in die Höhe schnellte. In der Mappe waren mehrere Pässe und Kreditkarten. Rudi Maier war auch noch Stephan Heine, Peter Land und Reinhard Schell. Zu Toms großer Enttäuschung fand er keinen Pass und keine Kreditkarte auf den Namen David Goldberg.
    Tom startete einen neuen Anlauf am Laptop mit verschiedenen Kombinationen der Namen aus den falschen Pässen. Wieder ohne Erfolg. Sollte er zur Polizei gehen? Tom schob den Gedanken beiseite. Dass Rudi Maier vermutlich unter falscher Identität lebte, bewies seine eigene Unschuld noch lange nicht. Er benötigte überzeugendere Beweise.
    Das Tagebuch! Er streckte eine Hand auf den Boden und hob das unauffällige Büchlein auf, das zwischen den Quittungen und Briefen lag. Es war abgegriffen, hatte Eselsohren, und das Papier war vergilbt. Eine gewisse Gina hatte mit ordentlicher, geschwungener Handschrift und Tinte darin geschrieben.
    Auf der ersten Seite stand ein Gebet: »Herr, vergiss mich nicht, meine sündige Seele, bleib an meiner Seite, auf dass ich nicht bereue, dir gedient zu haben, wenn du mich abweist.« Manche Einträge gingen über mehrere Seiten, andere waren kürzer. Gegen Ende des Buches wurde die Schrift krakeliger. Es gab durchgestrichene Wörter und Sätze und jede Menge Tintenkleckse, und ein paar Mal hatte Gina alles überkritzelt und dick »Scheiße!« über die Seite geschrieben.
    Tom blätterte weiter. Einige Abschnitte waren in einer fremden Sprache abgefasst, aber das meiste war auf Deutsch. In jedem Kapitel gab es naive Symbole, die Freude oder Verzweiflung ausdrückten. Tom verweilte bei einem großen Herzen. Darunter stand: »Ich bin einem Engel begegnet. Er heißt Victor, Victor Kamarov! Der einzige Mensch, der jemals für mich gekämpft hat. Gott hat meine Gebete erhört. Alles wird gut. Zum ersten Mal, seit ich nach Wien gekommen bin, fühle ich mich sicher. Ich liebe ihn.«
    Ein wenig weiter hinten im Buch war zu lesen: »Ich liebe Victor, jeden Millimeter an ihm, und weil er so groß ist, kommt da eine Menge Liebe zusammen. Ich liebe seine Augen, sein Lächeln, sein Lachen. Seinen Atem, wenn er schläft. Seine Schritte, wenn er nach Hause kommt. Ich liebe die Wärme, die sein Körper ausströmt, wenn wir schlafen. Ich liebe es, dass er mich weckt, wenn er nicht schlafen kann. Da weiß ich, dass ich nicht alleine bin. Ich liebe seine Zehen, seine Zähne, seine Haut und den kahlen Schädel, seine Schultern, seine Gedanken, seine Stimme, wenn er die Welt anheult. Ich liebe ihn, wenn er mir Witze erzählt, über die ich nicht lachen kann, wenn er sagt, dass es mir gut gehen soll, dass er dafür arbeitet, dass wir den Rest unseres Lebens zusammen verbringen können. Ich will für Victor leben und sterben.«
    Tom blätterte weiter, bis er zu einem Herz kam, das von einem Blitz gespalten wurde. »Wie konntest du mir das antun, Victor? Du hast mir alles gegeben, und jetzt nimmst du mir

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