Tödlicher Applaus
Mann, der bald neunzig wird. Mir ist einfach wichtig, dass du da oben auf der Bühne sicher bist. Versprichst du mir, dass du die Weste anlegst?«
Maria trat hinter einen Paravent, um sie anzuprobieren. Anschließend zog sie das Kleid darüber, das sie bei der Aufführung tragen würde.
»Man muss schon sehr genau hinschauen, um zu erkennen, dass du eine Weste unter dem Kleid trägst.« Rudi nickte überzeugt.
Maria begutachtete sich aus allen Winkeln im Spiegel. Dann nickte sie zufrieden: »Dir ist schon klar, dass ich das nur für dich mache, Rudi.«
»Danke, jetzt kann ich gut schlafen heute Nacht. Trotzdem werde ich natürlich dafür sorgen, dass die Oper für die Premiere alle nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen trifft. Dein Vater hat mir den Auftrag erteilt, die Opernleitung diesbezüglich zu unterstützen.«
Maria legte ihre Arme um Rudis Hals. Sie wusste, dass ihn das verlegen machen würde, aber sie konnte ihre Gefühle nicht länger verbergen. Sie umarmte ihn und küsste ihn auf den Hals. Er roch gut und vertraut. In seiner Nähe fühlte sie sich geborgen.
Sie hielt ihn einen Moment zu lange fest, und als sie ihn losließ, streiften ihre Münder sich beinahe zufällig. Wie von einem Magneten angezogen, pressten ihre Lippen sich aufeinander. Rudi wurde von einer Leidenschaft übermannt, deren Existenz er nie für möglich gehalten hätte. Der Kuss erweckte etwas in ihm zum Leben, das all seinen Vorsätzen und Vorbehalten trotzte. Sie konnte unmöglich seine Schwester sein. In diesem Augenblick wusste er das. Für seine Schwester würde er niemals so empfinden.
Die Stimme des Inspizienten krächzte aus der Sprechanlage. »Probenbeginn Durchlauf Terror in der Oper . Alle auf die Bühne bitte!«
Rudi Maier schob Marias Hände vorsichtig weg: »Toi, toi, toi!«, sagte er. Er küsste sie leicht auf den Mund und verließ die Garderobe.
Machtbalance
Polizeipräsident Werner Diepold reichte Kamarov ein Glas Wasser. Er war heute in zivil, was deutlich besser zu dem Vorhaben passte, das er an diesem Tag verfolgte. Weder Diepolds Körpersprache noch sein Verhalten zeugten von Verzweiflung oder Beunruhigung. Der Polizeipräsident hatte die Zeit gut genutzt und die Karten zu seinem Vorteil gemischt. Kamarovs Manipulationen und Erpressungsversuche konnte er nun an sich abperlen lassen. Aus diesem Grund erübrigte sich die Frage nach dem Stand ihrer gemeinsamen Projekte, noch dazu, seit ihn ein gewisser Stan Vasilov ins Bild gesetzt hatte. Diepold beobachtete Kamarov sehr genau und achtete auf jede Bewegung und jede Änderung seines Tonfalls. Nicht ohne eine gewisse Vorfreude wartete er nun darauf, mit welchen Argumenten Kamarov dieses Mal versuchen würde, ihn zu manipulieren.
Kamarov hatte kein Bedürfnis nach diesem Gespräch. Seine Gehirnerschütterung hatte sich verschlimmert. Natürlich hätte er im Krankenhaus bleiben sollen, aber dann hätte er sich der letzten Möglichkeit beraubt, seinen Kopf doch noch aus der Schlinge zu ziehen und der Katastrophe zu entgehen. Er stützte den Kopf auf seine Hände und rieb sich die Schläfen in der Hoffnung, seinen Kopfschmerz auf diese Weise zu lindern.
»Gut, dass du am Leben bist, Victor.«
»Aus deiner Sicht wäre es doch sicher das Beste gewesen, ich hätte das Zeitliche gesegnet. Dann wären unser beider Probleme gelöst.«
»Ich muss zugeben, dass an deiner Argumentation etwas dran ist.« Diepold amüsierte sich köstlich über seine Antwort, die Kamarov mit einem finsteren Blick quittierte. Diepold strich sich ausweichend über die Augenbrauen. Er hatte durchaus mit diesem Gedanken gespielt, bevor er von Kamarovs Autounfall gehört hatte. Sicherheitshalber wechselte er das Thema. »Ich würde gerne mit dir über die Sicherheitsvorkehrungen für die morgige Opernpremiere sprechen.«
»Du musst äußerst diskret vorgehen, Werner. Ein großes Polizeiaufgebot würde nur Panik auslösen. Wir müssen uns den Anschein geben, als hielten wir das Risiko für einen Anschlag für minimal. Verstanden?«
»Victor, ich bin ebenso wie du davon abhängig, dass morgen alles gut geht.«
»Gut, wenigstens sind wir in diesem Punkt einer Meinung.«
»Eine Liveübertragung in die ganze Welt ist das optimale Signal. Da können wir doch wohl damit rechnen, dass deine Sänger anschließend wieder ihren Dienst antreten, oder? Und dass damit unser kleines Problem gelöst ist, nicht wahr?« Werner Diepold war jetzt ganz in seinem Element.
»Ich rechne mit überhaupt
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