Tödlicher Applaus
nichts mehr, Werner. Aber ich bete, hoffe und flehe, dass es so ist.« Kamarov lehnte sich auf dem Sofa zurück. Die Schmerzen waren unerträglich.
Der Polizeipräsident nahm das als Aufforderung, zu gehen. Auf dem Weg zur Tür drehte er sich wie zufällig noch einmal um und sagte: »Tom Hartmanns Exfrau ist übrigens verschwunden. Ich weiß nicht, ob das irgendwie in Zusammenhang mit seinem Verschwinden steht oder ob es eine harmlose Erklärung dafür gibt. Österreich hat sie jedenfalls nicht verlassen. Sie hat gestern aus ihrem Hotel ausgecheckt, und seither hat sie niemand mehr gesehen.«
Kamarovs Kopfschmerzen verschlimmerten sich sogleich. »Und von Hartmann fehlt nach wie vor jede Spur?«
»Leider ja, Victor, und das ist außergewöhnlich. Amateure wie er hinterlassen immer irgendwelche Spuren. Aber in diesem Fall haben wir nichts. Absolut nichts. Man könnte meinen, er sei tot.«
»Dann finde seine Leiche. Oder irgendeine andere Leiche, die du dann für Hartmann ausgibst. Damit ich meinen Sängern sagen kann, dass der Mörder gefasst ist. Ich muss, wir müssen sie wieder zum Singen bringen.«
Werner Diepold blickte ganz bewusst zu Boden und seufzte. »Sollte so etwas jemals herauskommen, wäre das mein Untergang.«
»Werner, du bist unglaublich naiv. Es ist wirklich unbegreiflich, dass Wien sich mit einem Polizeipräsidenten wie dir begnügt. Ist dir denn nicht bewusst, dass ich es bin, der dich in den Abgrund ziehen kann?«
Genau auf dieses Statement hatte Diepold gewartet. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben das Sofa, auf dem Kamarov lag. Ein paar Sekunden lang betrachtete er das Gesicht seines ehemaligen Verbündeten. Die hohe Stirn, die große Nase, den intensiven Blick und den Diamanten, der in seinem rechten Ohrläppchen glitzerte. »Naiv bist du, Victor, fast schon rührend naiv. Glaubst du wirklich, du bist der Einzige, mit dem ich mich gut gestellt habe? Dein Verfallsdatum ist überschritten, lieber Freund. Es stehen schon andere in den Startlöchern, um deine Geschäfte zu übernehmen.«
Victor Kamarov wusste ausnahmsweise nicht, was er antworten sollte. »Willst du mir drohen?«
Diepold stand auf und nahm sich viel Zeit, bevor er antwortete: »Lass mich dich zitieren, mein Freund. Nein, ich drohe dir nicht, Victor, ich sage dir nur, wie die Realität aussieht.«
»Ich habe Beweise«, konterte Kamarov schwach.
»Und ich habe die Leute, um diese Beweise zu beseitigen! Und soll ich dir etwas verraten? Genau das geschieht in diesem Moment. Vier meiner engsten Mitarbeiter gehen gerade deine Archive durch. In zivil natürlich. Ich bin diskret, Victor. Wir wollen doch kein Aufsehen erregen.« Diepold schaltete sein Handy wieder ein und wandte sich zum Gehen. Er hatte neue Nachrichten. »Gute Besserung, Victor.«
Friss oder stirb
Cathrine Price zerrte so fest sie konnte an ihren Fesseln. Die Handschellen schnitten sich in ihre Haut, und ihre Handgelenke waren schon ganz geschwollen, aber die Bolzen bewegten sich keinen Millimeter. Sie hasste sich selbst für ihre Dummheit, die sie aller Voraussicht nach mit dem Leben bezahlen würde. Dieses Soloprojekt, um ihren Exmann zu finden, war wirklich komplett idiotisch gewesen. Sie hasste Tom dafür, dass sie sich noch immer um ihn sorgte und dass sie ihm nach Wien gefolgt war. Und sie dachte an ihre Tochter. Was würde bloß aus Cecilie werden? Das Projekt der Maierbrüder war so wahnsinnig, dass es ihr den Atem raubte. Die Blicke der beiden strahlten einen Fanatismus aus, der immer wieder zu sagen schien: Friss oder stirb. Ein Zwischending gab es nicht.
Sie starrte auf die Mauer, die ihr inzwischen bis zur Schulter reichte. Wie lange würde sie überleben, wenn die Mauer sie komplett einschloss und keine frische Luft mehr nach innen drang? Wenigstens würde ihr Tod schmerzlos sein. Sie würde immer müder werden, je geringer der Sauerstoffgehalt wurde, bis sie für alle Ewigkeiten einschlief. Angst hatte sie eigentlich nur vor den Stunden zwischen dem Moment, in dem die Mauer geschlossen wurde, und dem Einsetzen der Müdigkeit. Sie würde all ihre Kraft mobilisieren müssen, um die Phase zu überstehen, bis die Gleichgültigkeit und das Vergessen sie langsam entführten.
Sie hörte Schritte auf der Kellertreppe. Einer der Maierbrüder schob Tom vor sich die Treppe herunter. Sie starrte auf seine Hände und erkannte, dass es Hans war.
»Schlafenszeit!«, rief Hans Maier und stieß Tom auf das spartanische Eisenbett mit der dünnen
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