Tödlicher Applaus
um einigermaßen Ruhe zu bewahren.
»Wir hatten auch eine Mutter.« Es war Hans, der das sagte. Er begann, aus Hohlbausteinen und Mörtel eine neue Mauer zu bauen, eine Verbindung zwischen der Außenwand und der zuletzt errichteten Mauer. Er hatte offenbar vor, Cathrine einzumauern.
»Aïda ist eine meiner Lieblingsopern«, sagte Rudi. »Ich hatte schon immer ein Faible für das Tragische.«
Tom flüsterte fast unhörbar: »Das können Sie nicht tun!«
»Das liegt ganz an Ihnen, Tom. Sie können Ihrer Frau das Leben zur Hölle machen oder sie retten. Soll Cathrine Aïdas Schicksal erleiden, oder nicht?« Rudi hörte sich an wie ein Geschäftsmann. »Sie können ablehnen, aber dann verlieren alle. Sie können auch tun, was ich sage, dann gewinnen alle. Cathrine darf weiterleben und kann zu Ihrem Vorteil aussagen. Wir versorgen Sie mit Beweisen gegen Kamarov. Hans und ich verschwinden, und Kamarov bekommt, was er verdient.«
Es war still bis auf das kratzende und klatschende Geräusch von Hans’ Maurerkelle, mit der er den Zement in raschen Strichen verteilte und platt schlug. Strich und Klatsch, Strich und Klatsch. Hans arbeitete effektiv, die hilflos am Boden liegende Cathrine war bereits hinter der Mauer verschwunden.
»Was soll ich tun?«
Ein Geschenk
»Maria, ich habe ein Geschenk für dich. Darf ich reinkommen?« Rudi Maier klopfte an Maria Steen Kamarovs Garderobe. Er wischte sich rasch den Kragen ab und hoffte, dass er nicht zu müde und mitgenommen aussah. Er hatte sich abgerackert, um das Päckchen zu bekommen, das unter seinem linken Arm klemmte. Es war wichtig, dass Maria es heute bekam, damit der Sicherheitsdienst es noch überprüfen konnte.
»Augenblick, ich sehe noch nicht passabel genug aus!« Marias heller Sopran drang gut hörbar durch die Garderobentür.
Rudi ging im Kopf noch einmal durch, wie er ihr das Geschenk erklären und sie zu Stillschweigen verpflichten wollte. Es war von größter Wichtigkeit, dass Maria es während der Premiere trug. Sein ganzer Plan hing davon ab.
»Komm rein!«
Rudi holte tief Luft und trat ein. Maria sah ihn erwartungsvoll an. Rudi setzte eine ernste Miene auf: »Ich bereue es wirklich, deinen Vater überredet zu haben, dass er dir erlaubt, diese Rolle zu singen.«
»Hat Papa dich deswegen etwa zur Brust genommen? Du siehst müde aus.«
Rudi lächelte: »Nein, aber er hat mir einen Auftrag gegeben, der fast an eine Lebensaufgabe grenzt! Ich habe die ganze Welt nach diesem Ding hier abgesucht.«
Maria strahlte ihn an. »Ist das für mich? Und warum hast du Papas komplizierten Auftrag ausgeführt?«
»Weil dein Vater recht hat. Das Risiko ist zu hoch. Was, wenn etwas passiert?«
»Was sollte denn passieren? Ich habe keine Angst.«
»Genau das ist es! Dein Vater bezeichnet das als jugendlichen Übermut. Und ich muss ihm ein Stück weit zustimmen. Aber ich war ja schon immer etwas zu reif für mein Alter. Nächste Woche werde ich neunzig.«
Maria lachte. »Dafür, dass du auf die neunzig zugehst, hast du dich aber verdammt gut gehalten.«
Rudi schmunzelte und reichte ihr das Päckchen, das er unter dem Arm hatte.
Maria stutzte, als sie es öffnete. Es war eine gepolsterte Weste, ein potthässliches Ding, das sie auf gar keinen Fall anziehen würde.
Rudi bemerkte Marias Verwirrung. »Dein Vater hat darauf bestanden, dass du so eine bekommst. Das ist eine schusssichere Weste, die diskreteste, die ich finden konnte, der ›Executive Type‹, der gewöhnlich von Politikern oder Geschäftsleuten getragen wird. Die Weste ist so dünn, dass man sie unter deinem Kostüm gar nicht sieht.«
»Ich glaube nicht, dass der Instrukteur damit einverstanden ist.«
»Du wirst auf alle Fälle immer noch schlanker sein als Olga Martonova.«
»Das war jetzt aber böse.«
»Entschuldige, ich bin ein böser, alter, junger Mann mit schrecklichen Absichten. Am besten sagst du den anderen nichts davon, sonst scheuchst du sie nur unnötig auf. Womöglich weigern sich manche dann noch aufzutreten. Und dann wäre deine einmalige Chance passé.«
»Du solltest mein Manager sein. Du denkst ja an alles!«
Rudi zuckte bescheiden mit den Schultern. »Ich will dich an diesem Abend im Rampenlicht sehen. Alle sollen nur auf dich schauen. Ich bin überzeugt, du wirst über Nacht weltberühmt.«
»Glaubst du wirklich, dass diese Vorstellung so durchschlagend sein wird?«
»Die ganze Welt wird gebannt vor den Bildschirmen sitzen. Aber ich bin ja auch nur ein naiver, junger
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