Tödlicher Applaus
Matratze. Dann kettete er Toms Arme mit Handschellen an das Kopfgitter des Bettes und fesselte seine Beine ans Fußende. »Ich rate Ihnen, nicht mehr zu lange zu schwätzen. Sie brauchen Schlaf, Tom. Morgen hängt alles von Ihnen ab.«
Cathrine konnte Tom über die Mauer hinweg gerade noch sehen. Es war ein entsetzlicher Anblick: Seine Haut spannte sich kreideweiß über seinen kahlen Schädel, und seine Augen waren matt und merkwürdig verschleiert, als hätte er aufgegeben und wartete nur noch auf das Ende.
Hans kontrollierte Cathrines Handschellen und nickte zufrieden, als er die Schwellungen an ihren Handgelenken bemerkte. »Sie haben den Test bestanden!« Hans zwinkerte Cathrine zu und tätschelte ihren Kopf. »Braves Mädchen. Dann muss Hans sich ja keine Sorgen machen.«
Er holte zwei Gläser und goss Rotwein ein. Dann nahm er vier Pillen aus einem Röhrchen, zerrieb sie in einem Gefäß und verteilte das Pulver sorgsam auf beide Gläser. Zuerst setzte er Cathrine das Glas an die Lippen. »Das sind Schlaftabletten. Um Ihnen zu ersparen, dass Sie wachliegen und sich selbst verachten.«
Cathrine schluckte widerstrebend.
Dann ging er zu Tom. »Ein Schluck für Mama, einer für Papa. Braver Junge.«
Das Licht wurde gelöscht, und anschließend fiel die Kellertür zu.
»Cathrine …?« Toms Stimme klang kraftlos und gebrochen.
»Ja?«
»Es tut mir so leid … so unendlich leid. Du hättest nie in diese Sache hineingezogen werden dürfen.«
»Ich bin aus freiem Willen hier, Tom.«
Tom fühlte sich so müde. Er musste sich beeilen, um zu sagen, was er sagen wollte. »Hast du eine Idee, wo wir hier sind?«
»Leider nein.«
Tom holte tief Luft. »Ich bin unschuldig, Cathrine. Bitte, du musst Cecilie sagen, dass ich nichts mit all dem zu tun habe. Was ich morgen tun soll, werde ich vermutlich nicht überleben … Sie haben mir aber versprochen … dass sie … wenn ich tue, was sie von mir verlangen … dass sie …«, Tom spürte, dass er im Begriff war, die Besinnung zu verlieren, »… dass sie dich gehen lassen. Mehr konnte ich nicht für dich tun, Cathrine.«
»Was verlangen sie von dir? Was sollst du tun, Tom? … Tom?«
»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … Ich habe keine andere Wahl, Cathrine … Ich wünsche mir so sehr, jetzt deine Hand halten zu können … Glaubst du … wenn … sollte das hier gut ausgehen … dass …«
»Sag mir, was du tun sollst … vielleicht kann ich … irgendwie …«
»Helfen? Niemand kann mir helfen, Cathrine. Morgen werde ich einen Terroranschlag verüben, und die ganze Welt wird mir live dabei zusehen. Und sollte ich verraten, wer dahintersteht, dann … Und bei all dem geht mir immer durch den Kopf, dass dein neuer Mann dann auch noch sagen wird, siehst du, ich habe es dir doch gleich gesagt.«
»Ich habe mit Matthias Schluss gemacht.«
Cathrine wusste, dass das so nicht ganz stimmte. Matthias hatte sie verlassen. Sie nickte für einen Moment ein, schrak dann aber wieder auf. Hatte Tom gehört, was sie gesagt hatte? »Tom?« Keine Antwort. Kurz darauf hörte sie den Atem eines Menschen, der tief schlief, vielleicht sogar ohne Sorgen. Dann holte das Vergessen des Schlafes auch Cathrine ein.
Aufbruch
Michael Steen stand am Anleger und wartete auf das Boot, das Anna und ihn an Land bringen sollte, wo bereits der Pfleger wartete, den er für die Reise nach Wien engagiert hatte. Seine Kräfte reichten nicht mehr aus, um eine solche Reise allein mit seiner Tochter zu unternehmen.
Es war einer dieser Spätsommertage, mit denen die Inselbewohner von Zeit zu Zeit verwöhnt wurden. Die Sonne strahlte vom Himmel, und nur ein schwacher Wind wehte. Das Leben so dicht am Meer war wunderbar, und für Michael war mittlerweile kein anderes mehr vorstellbar, im Inland würde er verdorren. Hier draußen reinigten die Herbststürme seinen Geist und Körper, wenn er am Strand entlangspazierte. Und er konnte all seine Verzweiflung und Wut herausschreien, ohne dabei irgendjemanden zu stören.
Michael sog die Meeresluft ein, schloss die Augen und ließ die Sonne sein von Sorgen gezeichnetes Gesicht liebkosen. Anna lag auf einem Spezialbett mit gefederten, geländegängigen Rädern. Eine Wolldecke war über sie gebreitet, und Riemen hielten sie sicher auf der Matratze.
Steen betrachtete sie. Das scharfe Sonnenlicht war gnadenlos entlarvend, trotzdem war Annas Haut noch immer so glatt wie die eines Kindes, so als sei ihr Alterungsprozess an dem Tag, an dem sie ins
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