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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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existierten weder Vergangenheit noch Gegenwart. Aber etwas an dem großen Mann mit dem intensiven Blick schlug eine Saite in ihr an. Es war wie das Echo eines Klanges, den sie nicht greifen konnte. Ein Laut formte sich auf ihren Lippen, und einem inneren Impuls folgend, richtete sie ihren Oberkörper auf. Sie wollte aufstehen, aber die Beine knickten unter ihr weg, und sie fiel auf den Boden.
    »Victor!?«
    In einem Reflex drehte Kamarov sich zu Anna um. Der Knall erreichte die Bühne im selben Augenblick, als die Kugel in seine linke Seite eindrang. Sein Herz explodierte, und der große Körper schwankte. Ungläubiges Erstaunen huschte über das Gesicht des Riesen.
    Victor Kamarov wurde schwarz vor Augen. Aber er empfand keinen Schmerz. Lag das an der Gehirnerschütterung? Etwas Schicksalhaftes war geschehen, ohne dass er es hätte benennen können. Er taumelte wie ein Stier in der Arena, nachdem der Matador das Schwert zwischen die zwei offenen Wirbel hinter dem gesenkten Kopf gestoßen und die Halsschlagader durchtrennt hatte. Sein Herz pumpte weiter, aber das Blut strömte nicht mehr durch die gewohnten Bahnen, sondern füllte Lungen und Bauchhöhle.
    Victor Kamarov wankte über den Steg, der von der Bühne über den Orchestergraben in den Zuschauerraum führte, auf Anna zu. Sie hatte die Augen geöffnet.
    Kurz bevor er Anna erreichte, trugen seine Beine ihn nicht länger. Er fiel vor ihr wie vor einer Geliebten auf die Knie, dann kippte sein Oberkörper nach vorne. Im letzten Augenblick gelang es ihm, den Kopf zur Seite zu drehen, sodass sein Gesicht dem ihren zugewandt war. Ihre Blicke begegneten sich für ein paar kurze Sekunden.
    Dann riss die letzte Faser von Victors Lebensfaden. Ein Schleier legte sich über seine Augen, und sein Blick gefror.
    Anna lag da und sah Victor an, während sie unablässig seinen Namen sagte.
    Er war eingeschlafen, sie aufgewacht. Aber für einen kurzen Moment waren sie wieder vereint gewesen.
     

Kain und Abel
    Eine Schockwelle lief in Sekundenschnelle um die ganze Welt. Die Menschen vor den Bildschirmen hatten es live mit ansehen können: In der Wiener Staatsoper hatte es einen Mord gegeben. Drei Menschen jedoch erlebten diese Szenen anders als der Rest der Welt.
    Hans Maier war dicht an den Fernseher getreten, um sich zu vergewissern, dass die Kugel nicht Tom Hartmann, sondern Victor Kamarov getroffen hatte. Er hatte eine Plastiktüte aus seiner Tasche gezogen, in der ein flaches Handy steckte, hatte es herausgeholt und etwas eingetippt. Dann war er auf die Leiter gestiegen und hatte frischen Mörtel dort aufgetragen, wo noch ein paar Steine fehlten.
    Tonsignale drangen an Cathrines Ohr. Sie konzentrierte sich, um zu hören, mit wem Hans Maier redete und ob er sagte, was mit Tom geschehen war, aber kein Gespräch folgte. Lediglich ein Signal ertönte, das Cathrine als das Delete-Zeichen erkannte, gefolgt von weiteren Tastaturtönen. Sie zählte zwölf Töne und prägte sich die Tonfolge ein. Dank ihres absoluten Gehörs war es ihr möglich, die verschiedenen Töne den Zahlen zuzuordnen, die Hans getippt hatte.
    Als Tom und sie noch ein Paar gewesen waren, hatte er besonders auf Partys eine regelrechte Show um ihre Fähigkeit gemacht. Effektvoll hatte er Cathrine auf einem Stuhl mitten im Raum platziert und ihr die Augen verbunden. Dann hatte er jemanden aufgefordert, mit eingeschaltetem Signalton eine Nummer zu wählen, und Cathrine sollte anschließend sagen, welche Nummer es war. Sie hatte sich nie geirrt. Es war ihr sogar mitunter gelungen, auf Grundlage der Tonfolgen ganze Textnachrichten wiederzugeben.
    Die Nummer, die Hans Maier gewählt hatte, lautete: 4 – 4 – 4 – 4 – 6 – 6 – 2 – 6 – 2 – 6 – 6 – 2. Die Ziffernabfolge ergab für Cathrine keinen Sinn, aber sie nahm sich trotzdem vor, die Zahlen im Kopf zu behalten, und wiederholte sie mehrmals im Stillen, bis sie sich sicher war, die Kombination nicht mehr zu vergessen.
    Hans Maier setzte zwei weitere Steine ein. Durch die Lücke, in die gerade noch ein letzter Stein passte, fiel ein schmaler Streifen Licht. Cathrine hatte den Schuss gehört und fürchtete, dass das Ganze in einer Katastrophe geendet hatte und Tom tot war. Sie blickte sich in ihrer dunklen Grabkammer um. Tom hatte es nicht geschafft, und sie war eingemauert, lebendig begraben
    Die Dunkelheit und Stille um sie herum erdrückten sie fast. So also sollte der Rest ihres Lebens aussehen, die Stunden, die ihr noch blieben. Gab es von

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