Tödlicher Applaus
gerichtet.
»Bleiben Sie ganz ruhig!«, flüsterte Diepold zwei erschrockenen Zuschauern zu. »Ich will nicht mal ein Augenlid zucken sehen.«
Er erstarrte in seiner Position und wartete. Nichts wies darauf hin, dass Tom Hartmann ihn bemerkt hatte. Langsam bewegte er seine Hände mit der Pistole hinter den Sitzen nach oben, schob sie über die Kante und senkte sie zwischen die beiden Rückenlehnen. Die Pistole war nicht sichtbar, und seine Positionsveränderung hatte auch keine Reaktion ausgelöst.
»Schauen Sie um Gottes willen nicht auf meine Hände!«, zischte Diepold den Mann auf dem Sitz rechts vor ihm an. Er hatte feuerrote Flecken am Hals und im Nacken.
Werner Diepold hatte die Situation jetzt im Griff. Falls das Gespräch in irgendeiner Weise auf ihn kommen sollte, würde er schießen. Lieber würde er sich für die Folgen seines Alleingangs verantworten, als zu riskieren, der Komplizenschaft mit Kamarov bezichtigt zu werden. Wenn er Tom Hartmann erschoss, würde zumindest die Hälfte aller Meinungsumfragen zu seinen Gunsten ausfallen: für seine Kühnheit und seine Courage. Viele würden ihn zum Helden des Tages küren. Endlich würde Werner Diepold eine Hauptrolle spielen, und das in seiner Oper, der Wiener Staatsoper.
»Lassen Sie uns bei den Anfängen beginnen. Was ist mit Gina Vasilov?« Tom parierte Victor Kamarovs emotionsgeladenem Appell. »Haben Sie damals auch alles getan, um sie zu retten?«
Kamarov starrte Hartmann an. Woher wusste Hartmann von Gina?
Tom sah das Aufflackern in Kamarovs Blick und hakte nach: »Gina Vasilov war die Erste, die Kamarov auf dem Gewissen hat. Sie starb an Kamarovs treuloser Natur und seiner Rücksichtslosigkeit. Erzählen Sie uns von Gina Vasilov, Victor!«
Victor Kamarov hatte eine simple Strategie, was Anschuldigungen betraf. Er leugnete konsequent alles ab. Dieses Vorgehen hatte ihm schon mehrfach aus der Bedrängnis geholfen. Die Frage war nur, ob es auch die richtige Strategie für diese Situation war. »Ich kenne niemanden, der so heißt, und habe auch nie jemanden mit diesem Namen gekannt.«
»Und was ist mit der Erpressung Francesco Arpatas? Haben Sie ihn nicht gezwungen, zugunsten von James Medina auf eine Rolle nach der anderen zu verzichten? Hatte das nichts mit Gina Vasilov zu tun?«
Werner Diepold spürte seinen Zorn wachsen. Tom Hartmann saß auf Informationen, die nicht mal er kannte. Was wusste er noch? Vielleicht auch etwas über seine Verbindung zu Kamarov?
Tom Hartmann benutzte Maria als Schutzschild, schoss Diepold nur einen Millimeter daneben, würde er sie treffen. Ihm lief ein Schauer über den Rücken.
Da ergriff Hartmann wieder das Wort. »Sie wussten sehr genau, dass Gina schwanger war, als Sie sie hinausgeworfen haben! Und dass entweder Sie, Medina oder Arpata der Vater war!«
Kamarov fühlte sich zunehmend unwohl in seiner Haut. Er hätte gerne protestiert und weiterhin alles abgestritten, fürchtete aber, dass er sich übergeben müsste, wenn er jetzt den Mund aufmachte.
Da erhob sich Michael Steen. »Ich bin Michael Steen, Marias Großvater und Victor Kamarovs Schwiegervater. Ich kann bestätigen, dass Victor Kamarov Gina Vasilov kannte. Wären Sie so freundlich, Maria jetzt gehen zu lassen? Nehmen Sie stattdessen mich als Geisel. Ich stelle mich Ihnen gerne zur Verfügung!«
»Setzen Sie sich, und stehen Sie nicht noch einmal auf! Das ist gefährlich! Sehr gefährlich, begreifen Sie das nicht! Ich wiederhole: Niemand steht auf!« Tom hob das Handy über den Kopf, um die Anwesenden daran zu erinnern, was passieren konnte. Dann nickte er Steen zu. Er zögerte einen Moment, als er die Frau sah, die ihn aus dem Rollstuhl neben Steen anstarrte. Sie blinzelte nicht, sondern starrte nur unablässig zu ihm nach oben. »Vielen Dank für die Bestätigung, dass Victor Kamarov ein Lügner ist.«
Werner Diepold hob die Pistole. Tom Hartmann hatte seine Position verändert, sodass eine Lücke entstanden war, die er zu nutzen gedachte. Wenn er sich jetzt nur nicht rührte. Diepold konzentrierte sich, ruhig auszuatmen, während er ganz langsam den Finger über den Abzug legte.
»Ich kenne keine Gina Vas …«
»Verdammt, Kamarov, Sie riskieren, uns alle in die Luft zu sprengen! Ich habe Beweise! Soll ich Sie Ihnen vorlegen? Zeugenaussagen über Erpressungen, Bestechungen, Geldwäsche, Korruption …«
Anna Steen starrte unverwandt die Menschen auf der Bühne an. Sie hatte keine Ahnung, wer sie war oder wo sie war, in ihrem Bewusstsein
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