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Tödlicher Applaus

Tödlicher Applaus

Titel: Tödlicher Applaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Øystein Wiik
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jetzt an nur noch endlose Stille und grenzenloses Dunkel?
    Hans fühlte sich betrogen. Er hatte sich den Höhepunkt seiner Rache anders vorgestellt. Er hatte Kamarovs totale Demütigung vor den Augen der ganzen Welt gewollt, doch jetzt war ihm der Verurteilte im letzten Moment entkommen. Der Tod war eine viel zu milde Strafe für einen Mann wie Kamarov. Stattdessen hätte er für alle Zeiten im Fegefeuer der Medien brennen sollen. Wer zum Teufel hatte geschossen?
    Hans sah zu seinem Bruder hinüber. Eigentlich konnte er ihn wieder losketten. Das Rennen war gelaufen. Jetzt galt es nur noch, das Weite zu suchen, alle Spuren von Rudi und Hans Maier zu tilgen und dann ein neues Leben zu beginnen, ein Leben ohne Hass.
    Hans ging zu seinem Bruder, um ihm die Handschellen abzunehmen. Er ertrug den anklagenden Blick nicht länger, und die Stille zwischen ihnen belastete ihn. Er überließ es seinem Bruder, die Fesseln an seinen Knöcheln zu lösen, obgleich er befürchtete, Rudi würde nach ihm treten. Aber sein Zwillingsbruder blieb einfach erschöpft sitzen und rieb sich die Knöchel.
    Rudi hatte alle Stufen der Wut über Hans durchlaufen, und mittlerweile hatte auch ihn die Wirklichkeit eingeholt und ihm jegliche Kraft genommen. Es war vorbei. Ihr Leben hatte kein Ziel mehr. Es gab niemanden mehr, den sie hassen konnten, und niemanden, den sie lieben konnten. Nur Maria. Aber was, wenn Maria tatsächlich ihre Schwester war?
    »Was machst du da?« Rudis Stimme klang schwach und tonlos. Er hatte aufgehört, seine Knöchel zu reiben, und blickte zu seinem Bruder hinüber, der mit einem Stein, Mörtel und Maurerkelle erneut auf die Leiter stieg.
    »Das weißt du doch.« Hans vermochte seinem Bruder noch immer nicht in die Augen zu blicken. Er stieg weiter, um den letzten Stein in die Mauer zu setzen und Cathrines Grabkammer zu versiegeln.
    »Muss das sein?«
    »Wir haben das alles doch nur getan, damit endlich unser Leben beginnt, und nicht, um langsam im Gefängnis zu verrotten. Wir können das Risiko nicht eingehen, sie laufen zu lassen.«
    »Wir machen einen Deal mit ihr und verschwinden. Sie wird das verstehen.«
    »Das wird sie nicht! Sie ist eine Polizistin!«
    »Ich bleibe hier.«
    Hans legte den Ziegel auf der obersten Stufe der Leiter ab. »Mein Gott! Wegen Maria? Rudi, wach auf. Maria Kamarov ist deine Schwester!«
    »Wenn du das wirklich glauben würdest, hättest du ihr das nicht angetan!«
    »Und warum nicht? Es ist mir scheißegal, ob sie unsere Schwester ist.« Hans starrte seinem Bruder jetzt direkt in die Augen. Sein Blick hatte eine Intensität, die selbst Rudi erschreckte.
    »Es gibt niemanden, der diese Morde oder den Anschlag in der Oper mit uns in Verbindung bringt. Hartmann kann behaupten, was er will! Er wird mehrfach lebenslänglich bekommen.«
    »Maria hat meine rechte Hand gesehen und meinen Finger berührt.«
    Rudi sah seinen Bruder ungläubig an. »Du hast Maria deine Hände berühren lassen? Warum zum Teufel?«
    »Weil sie mich für dich gehalten hat. Sie hat meine Hände genommen und mich geküsst, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Sie weiß, dass es zwei von uns gibt. Wenn das herauskommt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand dieser Spur folgt.«
    Rudi setzte sich. Es hatte Angst. Wie würde sein Bruder jetzt weiter vorgehen?
    Hans schob den letzten Stein in die Mauer und entfernte den überschüssigen Mörtel mit der Kelle. Er arbeitete ruhig und gleichmäßig, fast meditativ.
    Die Stimme eines Nachrichtensprechers schnitt auf einmal durch das Schweigen der Brüder: »Die Zuschauer und die Angestellten dürfen jetzt die Oper verlassen, aber die Situation ist noch immer sehr ernst. Am Körper von Maria Kamarov scheint eine Sprengladung angebracht zu sein.«
    Rudi spürte, wie eine Kraft von ihm Besitz ergriff, die er nicht kontrollieren konnte. Aufgestauter Hass und blanker Frust gewannen die Oberhand, Verzweiflung quoll aus seinem Bauch empor und explodierte in einer Attacke auf seinen Bruder. Er stürzte nach vorn und stieß die Leiter um.
    Hans verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den harten Steinboden. Er blieb regungslos liegen.
    Rudi erstarrte, gelähmt von Reue: »Hans, rede mit mir! Hans, verdammt! Was für eine Sprengladung, und wie …? Was muss man machen, um …?« Er beugte sich über seinen Bruder. »So rede doch mit mir! Hans!«
     

Desperado
    Tom handelte blitzschnell, als er sah, dass Kamarov getroffen war. Maria fest im Griff, zog er sich auf die Seitenbühne

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