Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)
und lächelte.
»Was denn?«, fragte ich.
»Ich wollte gerade sagen, dass man das nicht vergleichen kann, weil Stoners unverblümte Art vielen Leuten auf die Nerven geht«, erklärte er mit einem ironischen Unterton. »Tatsächlich seid ihr euch aber gar nicht so unähnlich. Von den Handgreiflichkeiten mal abgesehen natürlich.«
Jetzt musste ich ebenfalls lächeln. »Vermutlich hast du recht.« Ich war schon oft genug mit der Verwaltung und den Richtern aneinandergeraten. In meiner Sprache war ich einfach nur »direkt«. Sie nannten es »streitsüchtig und widerspenstig«. Es kam eben auf die Perspektive an.
»Eines der vielen Dinge, die ich an dir schätze, Baby«, sagte Graden und hob sein Glas. »Auf die Frauen mit der großen Klappe.«
»Und auf die Hitzköpfe«, sagte ich.
Wir tranken und stürzten uns dann auf unser Steak. Graden erzählte mir von einem Polizeianwärter, den man dabei erwischt hatte, wie er nach Ende der Schicht im Streifenwagen Dope geraucht hatte. Ich übertrumpfte ihn mit der Anekdote über einen Staatsanwalt, der in seinem eigenen Wagen Heroin gedrückt hatte. In der Mittagspause. Während eines Prozesses.
Als wir fertig waren, wandten wir uns wieder der Aussicht zu und lehnten uns angenehm entspannt zurück. Die Rückfahrt zum Biltmore verlief in wohltuendem Schweigen. Graden vertraute Angel den Wagen an und brachte mich zum Aufzug. Mit Bailey hatte ich herumgewitzelt, wie es war, mit Graden Sex zu haben, aber in Wahrheit hatten wir noch nie miteinander geschlafen. Allerdings küssten wir uns oft genug, um zu wissen, dass es großartig wäre. Als wir an meine Tür kamen, zog er mich an sich und gab mir einen langsamen, zärtlichen Kuss. Wenn ich auch nur einen Martini mehr getrunken hätte, hätte ich die Tür aufgestoßen und ihn auf die Matte geworfen. So gelang es mir gerade noch, mich zu beherrschen.
Graden trat zurück und streichelte meine Wange. »Soll ich dich morgen früh anrufen?«
»Gute Idee.«
Ich öffnete die Tür und hielt noch einmal inne, um ihm hinterherzuschauen. Mit langen, elastischen Schritten entfernte er sich, ein kräftiger, athletischer Mann. Ich erwischte mich dabei, wie ich ihn im Geiste auszog, und trat schnell in mein Zimmer, bevor er sich umdrehen und mich ertappen würde. Mit einer kalten Dusche wollte ich mich auf andere Gedanken bringen, aber schon nach wenigen Sekunden begann ich zu frösteln und träumte von nichts anderem mehr als heißem Wasser. Und als ich dann ins Bett ging, hatte ich mich hinreichend beruhigt, um zu merken, wie müde ich war. Ich stapelte ein paar Kissen übereinander, um meinen schmerzenden Nacken abzustützen, und schlug den Thriller auf, den zu lesen ich mich zwang. Das Einzige, was ich zu dem Buch sagen konnte, war, dass ich unweigerlich darüber einschlief. Aus irgendeinem Grund aber konnte ich ein Buch, selbst wenn ich es grauenhaft fand, nicht einfach weglegen. Ich musste es bis zum bitteren Ende lesen. Und bitter war das Ende in jedem Fall, weil ich immer stinksauer wurde, dass ich so viel Zeit verschwendet hatte, um dorthin zu gelangen.
Der gegenwärtige Missetäter, der die Frechheit besaß, sich »Thriller« zu nennen, lag aufgeschlagen auf meinen Knien, aber mein Geist schweifte ab. Wurde es nicht Zeit, dass ich mit der Vergangenheit abschloss und Graden vollständig in mein Leben ließ – von meinem Bett ganz zu schweigen?
Vielleicht war ich endlich dazu bereit. Wenn ich noch etwas Energie gehabt hätte, wäre ich vermutlich über meinen eigenen Gedanken erschrocken gewesen. Die Erschöpfung aber ließ meine Augenlider schwer werden, und mein Kopf sackte nach vorn. Ich rutschte hinab, zog die Bettdecke hoch und löschte das Licht. Als ich mich auf die Seite drehte, hörte ich entfernt das Buch zu Boden fallen. Ich ließ es liegen.
19
D as Sonnenlicht strömte durchs Fenster. Offenbar hatte ich vergangene Nacht vergessen, die Vorhänge zuzuziehen. Ich wälzte mich aus dem Bett, zog den flauschigen Mikrofaserbademantel an und trat auf den Balkon hinaus.
Für einen Dezembermorgen war die Luft erstaunlich mild. Es wäre ein guter Tag für die Arbeit im Feld, aber ich konnte nicht allein losziehen. Eine der Kardinalregeln bei Ermittlungen, vor allem bei Ermittlungen eines Anwalts, lautet, dass man mit einem Zeugen nie allein sprechen darf. Ein Anwalt kann nicht in seinem eigenen Fall aussagen. Wenn also ein Zeuge im Zeugenstand beschließt, sich nicht mehr an das zu erinnern, was er im persönlichen
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