Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)
hielt er inne. »Als ich die Geschichte mit Romy sah, war ich entsetzt. Ich konnte einfach nicht begreifen, wieso du mir nichts davon erzählt hast. Du solltest doch wissen, dass ich dich verstehe. Vielleicht könnte ich dir sogar helfen.«
»Verstehen? Weil du es schon mit so vielen Opfern zu tun hattest?« Ich war so sauer, dass mein Atem in scharfen, kratzenden Schüben herauskam. Die alten Wunden der Kindheit waren aufgerissen und bluteten.
Graden schüttelte den Kopf.
»Und was heißt hier helfen?«, fuhr ich fort. »Die Geschichte ist über zwanzig Jahre her! Meinst du, ich hätte in all dieser Zeit dagesessen und auf den Ritter gewartet, der den Drachen tötet?«
Graden warf mir einen harten Blick zu. »Ich bin kein Anfänger, Rachel. Ich bin fünfzehn Jahre bei der Polizei und habe in Tausenden von Fällen ermittelt. Meine Freunde und Kontakte sitzen im ganzen Land. Vielleicht bilde ich mir nur ein, dass ich noch etwas herausfinden könnte, aber ausgeschlossen ist es auch nicht.«
Ich erwiderte seinen Blick, innerlich eiskalt.
»Darum geht es aber gar nicht, Rachel, oder?«
Ich sah ihn an. »Was meinst du damit?«
»Unsere Beziehung wird dir zu eng, nicht wahr?«, fragte er mit schwerer Stimme.
»Komm mir nicht mit diesem Quatsch«, sagte ich. »Hier geht es nicht um Angst vor Nähe, sondern darum, dass du mein Privatleben nicht respektierst. Es geht um ein Problem von dir, Graden. Du willst alles über alle wissen, egal wie es den Leuten damit geht.«
Graden, der beinahe genauso gut mit dem Computer umgehen konnte wie sein Bruder, hatte mir mal in einem dieser ungeschützten Momente großer Vertrautheit gestanden, dass er nicht nur alle seine Kollegen bei der Polizei »recherchiert« hatte, sondern auch sämtliche Mitbewerber bei jeder einzelnen Beförderung, einschließlich der zum Lieutenant. Allerdings wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass er das auch mit mir machen könnte.
Dass ich dieses Wissen jetzt gegen ihn verwendete, war ein Schlag unter die Gürtellinie. Unter gewöhnlichen Umständen hätte ich das nicht getan.
»Bist du nie auf die Idee gekommen, dass ein krankhafter Kontrollzwang dahintersteckt, wenn man immer alles wissen will? Was war ich blöd zu denken, dass ich davon ausgenommen sein könnte«, sagte ich verbittert. »Vielleicht solltest du dir einfach mal klarmachen, dass es hier nicht um mein angebliches Problem mit Nähe geht.« Ich malte Anführungszeichen in die Luft. »Hier geht es um deinen Kontrollzwang.«
Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich all diese Dinge dachte, bevor ich sie aussprach. Erhitzt und überdreht, wie ich war, erkannte ich aber in diesem Moment, dass ich Gradens wunden Punkt getroffen hatte. Und unseren.
Bei meinen Worten prallte er buchstäblich zurück und verfiel in Schweigen.
»Ich bin bereit, darüber nachzudenken, Rachel«, sagte er ernst und sah mir dann in die Augen. »Allerdings würde ich dich bitten, mir denselben Gefallen zu tun. Denk über die Möglichkeit nach, dass du dich Romy gegenüber schuldig fühlst, weil du überlebt hast. Wenn das so wäre, hieße das nämlich, dass du nie jemanden in dein Leben eintreten lassen könntest.«
Der Klang von Romys Namen erzeugte in meinem Hirn eine Art Kurzschluss und machte die Rückkehr rationaler Gedanken unmöglich.
»Jetzt hältst du dich auch noch für einen Psychoanalyti…«
»Auf diese Weise kannst du die Sache natürlich abbügeln, weil du es einfach nicht erträgst.«
Da hatte er nicht ganz unrecht, aber mir reichte es nun.
»Du gehst jetzt besser«, sagte ich und vernahm in meiner Stimme ein Zittern, das mir nicht gefiel. Ich wollte nicht vor seinen Augen einen Zusammenbruch erleiden, presste die Lippen aufeinander und versteifte mich.
Graden starrte mich an. »Da sind wir uns ja endlich einmal einig.«
Er ging zur Tür, hielt dann aber noch einmal an, die Hand auf dem Knauf. Mit einem Kopfschütteln sagte er: »Es tut mir leid, Rachel«, und blickte zu Boden. »Ich habe immer gedacht, dass wir wunderbar zueinanderpassen«, fügte er leise hinzu und ging.
Ich zitterte immer noch und war innerlich eiskalt vor Wut, und doch war es die bleierne Schwere in meinem Magen, die mir am meisten zusetzte. Ein winziges Stimmchen in meinem Innern fragte: Was hast du da bloß angerichtet? , aber ich tat alles, damit es von meiner Wut vertrieben und zerquetscht wurde. Ich öffnete die Minibar, goss mir einen großen Russian Standard Platinum Wodka ein und nahm ihn mit ins Badezimmer, wo
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