Toedlicher Blick
Wenn das der Fall war und er sehr, sehr vorsichtig vorging, musste es möglich sein, ihnen durch die Finger zu schlüpfen. Aber zu Fuß: Sie konnten einen Peilsender an seinem Wagen angebracht haben, und er hatte keine Ahnung, wie so ein Ding aussah und wo sie es platziert haben konnten.
Er wählte die Kleidung für seinen Ausflug sorgfältig aus – grau und schwarz, dazu eine dunkelblaue Wollmütze. Er ließ den Fernseher laufen und änderte die Einstellung des Anrufbeantworters so, dass er gleich beim ersten Läuten ansprang und für einen Anrufer der Eindruck entstand, er sei zu Hause und höre mit, wolle aber nicht ans Telefon gehen. Die Lampe in seinem Arbeitszimmer schloss er an den Timer an: Das Licht würde um acht angehen und um halb zehn ausgeschaltet werden. Noch vor Mitternacht musste er wieder zu Hause sein.
Er steckte einen Stadtplan in die Tasche, überprüfte seinen Vorrat an kleinen Geldscheinen, sagte laut: »Das ist doch total verrückt«, und ging dann durch die Verbindungstür in die Garage. Von dort aus hätte er durch die Tür zum Garten ins Freie gelangen können, aber dann hätte sich seine Gestalt gegen die weiße Holzverschalung des Hauses abgehoben. An der Seite verlief jedoch eine Hecke …
In der Garage war es stockdunkel. Er zog die Tür hinter sich zu und tastete sich zum Fenster vor. Er öffnete den Verschluss, schob es langsam hoch und kletterte über die Fensterbank nach draußen, zur Seite des Hauses. Wenn die Cops eine Beobachtungsstation – oder wie immer sie es nannten – im oberen Stock des Nachbarhauses eingerichtet hatten, würden sie ihn möglicherweise entdecken. Aber dann mussten sie sehr genau hinsehen oder Nachtsichtgeräte irgendeiner Art einsetzen, denn die Nacht war dunkel wie schwarzer Samt.
Er zog das Fenster hinter sich herunter, blieb stehen, horchte, hörte nichts als Motorengeräusche von Autos in der Ferne. Nach zwei Minuten schlich er an der Hecke entlang durch den Garten bis zu dem schmalen Verbindungsweg an der Rückseite. Hörte immer noch keine verdächtigen Geräusche … Er ging den langen Weg hinunter bis zum Ende des Blocks, überquerte dort die Straße, bog in die nächste Nebenstraße ein.
Es wäre ja möglich, dass sie ihn verfolgten, dachte er, aber er konnte sich nicht vorstellen, wie sie ihn bemerkt haben sollten. Er hatte auf dem unbeleuchteten Verbindungsweg die Hand nicht vor den Augen sehen können. Er ging in Richtung Norden, auf ein Shoppingcenter zu. Er brauchte ein Telefon und ein Taxi.
Beides war leicht zu kriegen, und Qatar wunderte sich über seine eigene Courage, als ihn das Taxi durch die Stadt nach Norden brachte, zu einer Einkaufsstraße parallel zur Cleveland Avenue. »Hier anhalten«, sagte er zu dem Taxifahrer und deutete auf einen Golf-Ausstattungsladen.
»Soll ich auf Sie warten?«, fragte der Fahrer.
»Nein. Ein Freund bringt mich zurück.«
Er drehte eine Runde durch den Laden, um dem Taxi Zeit zum Verschwinden zu geben, ging dann wieder nach draußen. Barstads Haus lag ein oder zwei Kilometer entfernt; er konnte die genaue Entfernung nicht dem Stadtplan entnehmen, aber es war ihm auch nicht wichtig. Er machte sich auf den Weg.
Was sollte, was würde er tun, wenn er bei Barstad ankam?
Er wusste es nicht genau. Ein weiteres wildes Sexspielchen mit ihr treiben? Das Seil danach an sich bringen? Ihr sagen, er hätte seinen Ring bei ihr verloren? Er spürte den Ring an seinem kleinen Finger. Er konnte ihn wegstecken und sagen, er habe ihn am Nachmittag verloren, dann eine Suche starten, ins Bad gehen, das Seil holen. Sie vielleicht sogar dazu bringen, ihn nach Hause zu fahren …
Er lächelte bei diesem Gedanken: Das wäre ein toller Spaß! Sie setzt ihn vor seiner Haustür ab, und der Cop, der da irgendwo rumlungert, kriegt einen Herzanfall …
Er ging zügig weiter, überlegte: Was sollte er tun?
Sie hatte ihn verraten und verkauft, das stand fest. Er verschränkte die Finger ineinander, streckte die Hände aus. Okay, er war ein wenig verärgert. Sie hatte ihn verraten, und sie hatte diesen interessanten Hals … Sie hatte diesen Hals, und sie hatte ihn den Cops ausliefern wollen … Ja, er war ein wenig verärgert … Sie hatte vorgetäuscht, ihn zu lieben, hatte ihn aber nur
benutzt
, und dann war sie zur Polizei gegangen …
Was sollte er tun?
26
Am nächsten Morgen warteten Marcy und Marshall schon ungeduldig auf Lucas. »Du machst dich am besten gleich auf den Weg zum Bezirkshospital«, sagte Marcy.
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