Toedlicher Blick
foltern würde. Ihm die Augen aus dem Kopf reißen würde oder so was.«
»Es hat sein Herz gebrochen«, sagte Weather.
Sie blieben noch eine Weile beisammen und unterhielten sich; Weather hatte am nächsten Morgen keinen Operationstermin. Sie redeten über Marshall, über den Killer, über den Friedhof im Regen. Saßen dicht beisammen; fanden schließlich den Weg ins Schlafzimmer. Ein Baby zu zeugen, dachte Lucas später, ist etwas, das man sogar am Abend eines Tages machen kann, den man mit dem Ausgraben von Leichen auf einem Friedhof zugebracht hat.
Vielleicht war es sogar eine gute Zeit, das zu tun …
10
Die Fernsehbilder von seinen Zeichnungen hatten ihn wie Hammerschläge getroffen. Während er sich in seinem Büro in die Tiefen seines Computers vorarbeitete, zuckte James Qatar jedes Mal zusammen, wenn er Schritte im Flur hörte. Er besaß durchaus eine gewisse Portion Mut, war andererseits jedoch nicht immun gegen Furcht. Während der vorlesungsfreien Zeit war das Gebäude fast leer, und die Schritte jedes Vorbeigehenden hallten laut durch sein Büro.
Er wartete darauf, dass die Polizei auftauchte. Er hatte sich einmal eine Fernsehsendung über forensische Wissenschaften angeschaut und daraus erfahren, wie die Polizei einen Mörder anhand eines einzigen Haares, einer einzigen Kopfschuppe oder des Abdrucks eines Turnschuhs überführen konnte. Er wusste, dass manches davon übertrieben war, trotzdem aktivierte die Erinnerung an diese Sendung seine Fantasie.
Qatar war ein Fan alter Kinofilme, und in seiner Vorstellung sah er breitschultrige Polizei-Schlägertypen mit Boxernasen, breitrandigen Hüten und gelbbraunen zweireihigen Wollanzügen vor sich. Sie hatten Augen wie Bluthunde, kamen durch die Tür hereingestürzt, und einer von ihnen zischte den anderen zu: »Das ist er! Greift ihn euch!« Er sprang auf, schaute sich verzweifelt um, aber es gab kein Entkommen. Und einer der Cops, ein brutaler Kerl mit dicken trockenen Lippen, löste Handschellen von seinem Gürtel …
Die Szene war im Stil der vierziger Jahre gehalten und ausgesprochen klischeehaft – aber so sah James Qatar sie nun einmal vor sich …
Aber würde sie sich tatsächlich so abspielen?
Noch an dem Abend, als seine Zeichnungen im Fernsehen gezeigt wurden, war er in Panik zu einem CompUSA-Supermarkt gefahren und hatte eine Packung ZIP-Disketten und eine neue Computerfestplatte gekauft. In seinem Büro hatte er die Tür hinter sich abgeschlossen, alle Dateien über seine Vorlesungen aus der alten Festplatte auf ZIP-Disketten kopiert und dann die Festplatte aus dem Computer montiert. Auch alle alten ZIP-Disketten im Büro – einige waren noch nicht benutzt, aber er wollte kein Risiko eingehen – sammelte er ein und steckte sie zusammen mit der alten Festplatte in seine Aktentasche.
Er brauchte eine Stunde, um Windows auf der neuen Festplatte zu installieren, dann machte er sich an die Arbeit, die Dateien mit seinen Vorlesungen wieder auf die Festplatte zu kopieren. Der Prozess würde viel Zeit in Anspruch nehmen, aber er fing schon einmal damit an. Als ihm schließlich die Geduld ausging, machte er sich mit der Aktentasche auf den Heimweg.
Zu Hause zertrümmerte er die alte Festplatte und zerschnitt sämtliche Disketten mit einer Blechschere. Es wäre sicher genug gewesen, die Reste einfach in den Müll zu werfen, aber er war nun einmal ein vorsichtiger und akribischer Mensch, und so steckte er die Schnipsel in einen Beutel, fuhr am Mississippi entlang nach Süden bis zu einer einsamen Stelle und warf dort den Beutel in das träge dahinfließende braune Wasser.
Das war’s zunächst einmal … Sollen die Cops doch kommen, dachte er, und ihre Spezialisten auf den Computer ansetzen. Sie würden nichts finden als eine unverdächtige Festplatte und die übliche wissenschaftliche Software. Kein Bildbearbeitungsprogramm, keine Pornofotos. Nichts als eine Reihe von Gemälden in einer Serie von Vorlesungsdateien.
Die Cops kamen nicht. Qatar beschäftigte sich mit der weiteren Installierung seiner Software auf der neuen Festplatte, stellte über die ZIP-Disketten seine künstlerischen Dateien wieder her. Von den Porno-Websites im Internet ließ er die Finger und warf seine alten Zeichenutensilien weg, ersetzte sie durch neue. Ein längst überfälliges Aufräumen; eine gute Zeit, sich zu verkriechen und ein wenig an der Fortsetzung der Karriere zu arbeiten.
Ein neues Buch vielleicht. Er hatte schon längere Zeit mit dem Gedanken
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