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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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gespielt, ein Buch über Keramik zu schreiben. Selbst den Titel hatte er sich schon ausgedacht:
Erde, Wasser, Feuer, Luft: Die Revolution in der keramischen Kunst im Mittleren Westen von 1960 bis 1999.
    Er kaufte sich ein neues Notizbuch und sammelte darin seine Gedanken zu dem Thema, schrieb weitere Notizen und Diagramme auf die Tafel in seinem Büro. Gut fürs Image, dachte er. Alle Welt konnte sehen: In diesem Büro arbeitet ein Intellektueller …
    Das Haar in seiner intellektuellen Suppe war Barstad. Sie rief dauernd an, lenkte ihn ab. Er hatte alle Zeichnungen von ihr vernichtet, aber jetzt, unter dem Druck der Entdeckungsgefahr, musste er immer wieder an sie denken.
    Das Teufelchen des Perversen – hatte Poe es nicht einmal so genannt? Der ununterdrückbare Impuls, sich selbst zu quälen? Er hatte ein weiteres Treffen mit ihr abgesagt, aber in jener Nacht hatte er die intensivsten Fantasien seit langem erlebt; sie hatten sich um Barstad, eine Fotokamera und seine Zeichenkunst gedreht.
    Bis dahin hatte seine zeichnerische Arbeit darin bestanden, Frauengesichter in Fotos aus dem Internet zu montieren. Jetzt, so meinte er, brauchte er das nicht mehr zu tun. Er konnte das Bild einer Frau zeichnen, die alles tat, was er sich nur wünschte – er hatte noch nichts herausgefunden, was sie nicht tun würde –, und ein
echtes
einmaliges Werk erschaffen. Ein Original. Er musste seine Arbeit auf die Grundlage dieses Gedankens stellen. Musste die Frau
manipulieren
, um eine neue Vision zu gebären …
    Seine Zeichnungen wurden weiterhin im Fernsehen gezeigt, wobei man die besseren Teile abdeckte. Die Fernsehstationen schienen nicht genug davon zu kriegen, aber nachdem die Cops immer noch nicht aufgetaucht waren, begann er, sich sicher zu fühlen …
    Niemand wusste etwas über ihn.
    Wenn er vorsichtig blieb, überlegte er, konnte er seine Arbeit wieder aufnehmen. Als Erstes machte er eine weitere Fahrt zu CompUSA und kaufte einen billigen Laptop. Am späten Abend, als es im Rynkowski-Gebäude dunkel geworden war und selbst die Hausmeister sich auf den Heimweg gemacht hatten, ging er durch den Flur zu Charlotte Neumanns Büro und schob den Riegel der Tür mit einem Buttermesser zurück. Alle Türen im Gebäude konnten auf diese Weise geöffnet werden; die Professoren wussten es, und die intelligenteren Erstsemester wussten es ebenfalls.
    Neumanns Büro war ein quadratischer Raum mit einem Bücherregal entlang einer der Wände. Ihre Kopie des Bildbearbeitungsprogramms Photoshop 6 stand in der oberen linken Ecke, und er zog sie heraus, verließ den Raum, drückte die Tür hinter sich wieder ins Schloss und ging zurück zu seinem Büro. Die Installation des Programms auf dem Laptop dauerte nicht lange; nach einer Stunde verließ er das Gebäude. Er kannte Rynkowski Hall seit seiner Kindheit, samt aller Ecken, Schlupfwinkel und Verstecke. Er würde den Laptop nach jeder Benutzung irgendwo im Gebäude verstecken und den anderen Computer in seinem Büro nie wieder mit seinen täglichen Arbeiten kontaminieren …
    Aber der nächste Tag bescherte ihm neuen, noch größeren Ärger; ein schmutziger Tag mit weiterem nervtötendem Dauerregen. Am späten Nachmittag ging er zur Erledigung einer Routinesache zu Neumanns Büro – die Vorlesungen begannen in den nächsten Tagen wieder, und ein Student, der die geforderten Voraussetzungen nicht voll erfüllte, hatte dennoch die Teilnahme an einer seiner Vorlesungsreihen beantragt. Qatar brauchte nichts weiter als das Zulassungsformular für Ausnahmefälle. Neumanns Bürotür war geöffnet, und sie saß hinter ihrem Schreibtisch. Er klopfte an den Türrahmen und sagte: »Charlotte, ich brauche …«
    Ihr Kopf fuhr zu ihm herum, und ihr Arm auf dem Schreibtisch zuckte zurück, weg von ihm. Sie hielt ein blaues Blatt Papier in der Hand; ihr Gesicht wirkte plötzlich bewusst kontrolliert, und sie brachte ein schwaches Lächeln zustande.
    Er setzte den begonnenen Satz fort: »… ein Zulassungsformular; sie sind mir ausgegangen. Und ich brauche eine Zulassungsnummer.«
    »Okay«, sagte sie. »Dann schau’n wir mal …«
    Er sah sie unverwandt an, behielt aber aus den Augenwinkeln das blaue Papier in ihrer Hand im Blick. Sie zog lässig die oberste Schreibtischschublade auf, steckte die Hand hinein, kramte in Papieren, sagte dann: »Wo habe ich denn die Formulare?« Als ihre Hand wieder auftauchte, war das blaue Papier verschwunden. Sie zog die nächste Schublade auf, sagte: »Ah, hier«, und

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