Toedlicher Hinterhalt
Hass auf die Nazis hätte, würde ich sterben, da bin ich mir sicher.
Und ich weiß, ich bin damit nicht allein. Ich weiß, dass ich nicht die einzige Mutter bin, die ein Kind in diesem Krieg verloren hat. Es muss Millionen von uns geben –« Ihr versagte die Stimme. »Oh, was wir für eine Armee abgeben würden. Durch all den Zorn und den großen Schmerz, den wir verspüren, wären wir unbesiegbar. Aber was dann? Wenn wir das Dritte Reich zerstört haben, was dann? Was haben wir dann gewonnen?«
Joe konnte nicht antworten.
»Eine Chance, dass Marlises Baby mehr als nur zwei Jahre leben wird. Das ist alles, worauf ich hoffen kann. Aber nichts, was ich tue, wird mir Michel zurückbringen.«
Noch immer war Joe außerstande, etwas zu sagen.
»Ich werde diesen Krieg gegen die Nazis gewinnen«, fuhr sie fort und gab sich kämpferisch. »Ich werde siegen oder sterben. Aber sollte ich gewinnen, falle ich sowieso, denn ohne einen Feind, den man hassen kann, bin ich nur noch mit meiner Verzweiflung allein.«
»Du bist nicht allein«, versprach er ihr. »Ich bin hier.« Er streckte eine Hand nach ihr aus, doch sie zog sich zurück. Sie wollte ihn nicht. Gott, es tat so weh.
»Ich wünschte, ich könnte dich lieben«, entgegnete sie wehmütig.
Als Joe Cybele ansah, spürte auch er trotz des Schmerzes und seiner Wut eine Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung. »Vielleicht wirst du es irgendwann.«
Sie schaute ihn noch einen Moment lang an, und ihre schönen Augen wirkten alt und müde, so, als sähe sie ihre eigene Zukunft voraus und wüsste, dass es für sie kein irgendwann geben würde, dem sie entgegenblicken konnte.
Dann stand sie auf, ging und schloss leise die Tür hinter sich, ließ ihn zurück, der sie immer noch liebte und wusste, dass er es auf ewig tun würde.
14
Kelly kam in ihr Schlafzimmer gerauscht, trällerte dabei aus vollem Halse einen Popsong – baby, keep me up all night –, und begann, ihre Sachen auszuziehen, sodass Tom, der gerade vor ihrem Computer saß, keine Zeit blieb, auf sich aufmerksam zu machen. Sie bemerkte ihn exakt in dem Moment, als sie ihr Kleid über ihren Bürostuhl werfen wollte und ihn damit mitten im Gesicht traf.
»Oh mein Gott! «
Schnell schnappte sie sich das Kleidungsstück wieder und hielt es sich wie einen Schild vor den Körper. Es war ein außergewöhnliches Kleid. Doch als Schutz taugte es wenig.
»Sorry«, stammelte er und stieß fast den Stuhl um, als er aufstand. »Ich musste ins Internet und dachte, es würde dir nichts ausmachen. Ich bin sofort weg.« Er drehte sich wieder zum Computer um. »Lass mich nur schnell –«
»Warte.« Kelly kam näher und betrachtete das Bild des Kaufmanns auf dem Bildschirm. »Ist … er das?«
Als sie direkt neben Tom stand, gab das Kleid sogar einen noch schlechteren Schild ab. Man konnte fast ihre komplette Rückseite sehen. Er zwang sich, nicht hinzugucken, doch sein peripheres Sehvermögen war einfach zu gut. Sie trug wie üblich einen Tanga. Aus dunkel lilafarbenem Satin. Auf blasser Haut. Du liebe Güte …
Tom setzte sich wieder hin, sodass sie leicht hinter ihm stand und damit außerhalb seines Blickfelds war.
Ja, sie würden an diesem Abend zusammen essen gehen. Ja, in Boston hatte er sie erneut geküsst. Ja, er ging davon aus, es bei ihrem Date wieder zu tun. Und ja, ganz sicher wollte er all die wunderbaren Möglichkeiten ausloten, die sich aus ihrer gegenseitigen Anziehung ergeben konnten.
Und womöglich würde sie ihr Verlangen genau hierhin führen, in Kellys Zimmer, die Tür wäre fest hinter ihnen geschlossen, so wie jetzt, und Kelly würde nur Unterwäsche tragen, ganz so wie in diesem Augenblick.
Doch bevor sie an diesen Punkt kamen, würden sie vieles bereden müssen. Und so sehr jede Faser seines Körpers förmlich danach schrie, aufzustehen, sie jetzt gleich in die Arme zu schließen und seine Hände über ihre glatte, makellose Haut gleiten zu lassen, war Kommunikation doch der Schlüssel zum Erfolg. Zuerst musste geredet werden.
So musste es sein.
Immerhin vertraute sie ihm.
Noch immer schaute sie auf den Monitor und wartete darauf, dass er ihre Frage beantwortete. Ist er das?
Tom räusperte sich. »Ja, das ist, ähm …« Wie war noch gleich sein Name. »Der Kaufmann. Vor den Schönheitsoperationen.«
»Kann ich mal sehen, wie er jetzt aussieht?«, fragte sie.
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe keine neueren Fotos von ihm. Er wird seit 1996 für tot gehalten. Ich nehme an, dass er sich
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