Toedlicher Hinterhalt
Nacht etwas in ihren Augen gesehen zu haben. Aber jetzt …
So eine Angelegenheit konnte man unter normalen Umständen nicht würdevoll ansprechen, und in der momentanen Situation schon gar nicht. Wie sollte das denn aussehen?! »Gut, Kel, dein Dad stirbt also. Aber hey, erinnerst du dich noch an diese Nacht in Joes Auto, als wir uns beinahe …« Ja. Total geschmeidig.
Selbst wenn sie sich daran erinnern sollte, war es vermutlich etwas, das sie vergessen wollte. Trotzdem, er schuldete ihr eine Erklärung, und früher oder später würde er das Thema anschneiden müssen.
Als ob sie plötzlich bemerkt hätte, dass sie nicht allein war, schüttelte Kelly den Kopf und zwang sich zu einem L ächeln. »Das Pendeln ist anstrengend«, erklärte sie. »Tut mir leid. Ich bin heute Morgen einmal in die Stadt und wieder zurückgefahren. Ich wollte dich nicht ausschließen.«
»Mit deinem Vater zusammenzuwohnen ist bestimmt auch nicht gerade spaßig«, gab Tom zurück. »Hier zu leben war ja noch nie ein Zuckerschlecken für dich. Und dann wegen so etwas zurückkommen zu müssen …«
Sie versuchte, die ganze Sache herunterzuspielen. »Ja, genau, das war ich – das arme kleine reiche Mädchen.« Dann beugte sie sich vor. »Wie geht es dir eigentlich, Tom? Du siehst gut aus.«
Er ging auf ihren Themenwechsel ein. »Mir geht’s gut.«
Und im Grunde stimmte das sogar – wenn man mal beiseiteließ, dass er wochenlang im Koma gelegen hatte, Rear Admiral Tucker versuchte, seine Special-Operations-Einheit aufzulösen, er zur Genesung für dreißig Tage beurlaubt worden war und den Kaufmann am Flughafen gesichtet hatte – weshalb Admiral Crowley glaubte, er sei verrückt geworden. Klar, abgesehen davon ging es ihm fantastisch, danke der Nachfrage.
»Bist du allein hier?«, wollte sie wissen.
Gehörte ihre Frage noch zum Small Talk oder war es ein vorsichtiger Versuch, etwas herauszufinden? Er gab ihr eine ehrliche Antwort. »Ja, ich bin nach wie vor Single. Ich reise viel und …« Er zuckte mit den Schultern und fuhr sich erneut mit einer Hand durchs Haar. »Eigentlich bin ich total überrascht, dass du mich überhaupt wiedererkannt hast, jetzt, da ich haartechnisch etwas beeinträchtigt bin.«
Sie lachte. »Abgesehen von deiner Frisur siehst du noch genauso aus wie früher. Und zufällig gefällt mir der Kurzhaarschnitt.«
»Danke fürs Lügen, aber –«
»Ich lüge nicht.« Sie hielt seinem Blick stand, doch etwas in seinen Augen – vielleicht die Erinnerung an diese lange zurückliegende Nacht, die Tom nicht verbergen konnte – ließ sie plötzlich wegsehen und leicht erröten.
Schnell trank sie einen Schluck Limonade, und er registrierte, wie die Muskeln an ihrem zarten Hals sich bewegten, als sie schluckte, beobachtete, wie sie sich mit der Zungenspitze einen Tropfen von der Oberlippe leckte.
Limonade … Seine übliche Fantasievorstellung hatte immer damit begonnen, dass Kelly ihn einlud, auf ein Glas Limonade ins Haus zu kommen. Eins würde zum anderen führen, was stets damit endete, dass Kelly vor ihm in die Knie ging, üblicherweise genau an diesem Ort, in der Küche im Haus ihres Vaters.
In Kelly Ashtons Fantasien dagegen kamen mit Sicherheit ein weißes Kleid, ein Schleier und eine kirchliche Zeremonie vor – wobei am Ende ein Mann vor ihr auf die Knie gehen würde. Sie wusste vermutlich nicht einmal, was damit angedeutet wurde, wenn eine Frau es tat.
Dafür war sie viel zu lieb.
Er stand auf und stellte sein leeres Glas in die Spüle. »Ich sollte los und Joe suchen«, erklärte er. »Er weiß noch nicht einmal, dass ich in der Stadt bin.« Feigling! Er sollte sich ihr gleich sofort stellen und sich entschuldigen.
»Wie lange bleibst du zu Hause?«, fragte sie.
Zu Hause. Gott, was für ein Begriff. »Ich weiß es nicht«, gestand er.
»Falls du Zeit dafür hast«, begann sie, »bin ich mir sicher, dass mein Vater dich liebend gern sehen würde, wenn es ihm wieder etwas besser geht. Vielleicht könnten Joe und du zum Abendessen rüberkommen – es muss ja nicht heute Abend sein. Heute wollt ihr sicher erst mal reden. Und du willst wahrscheinlich auch noch einmal bei deiner Schwester vorbeischauen, also passt es dir morgen Abend wohl auch nicht …«
»Ich hatte eigentlich vor, nur bis zum Wochenende zu bleiben, aber …« Wenn er es erst einmal ausspräche, gäbe es kein Zurück mehr. Aber wie könnte er Joe einfach so allein lassen, wenn Charles Ashton starb? Also sagte er es. »Ich habe die
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