Toedlicher Hinterhalt
»Oh, der war gut, Tommy. Kannst du dir Mallory wirklich vorstellen, wie sie –«
»Dich habe ich nicht gefragt, Ang«, überging er sie, »sondern Mal. Was willst du mit deinem Leben anfangen, Süße? Was würdest du gern machen? Wenn du möchtest, gehe ich mit dir zum Rekrutierungsbüro. Es muss ja nicht die Navy sein. Zusammen mit dem Musterungsoffizier können wir überlegen, welcher Zweig des Militärdiensts zu dir passt, damit du genau da hinkommst, wo du sein möchtest. Wir können vier Jahre College für dich aushandeln. Sie legen Wert darauf, dass ihre Rekruten – auch die gerade angeworbenen – eine Ausbildung bekom-
men.«
»Mallory will Tattoos und Piercings haben«, mischte sich Angela ein. »Das ist so ziemlich alles, was sie im Moment im Kopf hat. Ich weiß, du glaubst es wahrscheinlich nicht, aber unter diesen schrecklich verschnittenen und gefärbten Haaren steckt ein ziemlich hübsches Mädchen. Sie hat große Ähnlichkeit mit mir, als ich achtzehn war.«
Das stimmte mal so gar nicht. Mallory überragte ihre Mutter um gut fünfzehn Zentimeter und hatte die Figur einer Amazonenkriegerin – samt Körbchengröße D –, während Angela noch immer dünn wie ein Model und schön zierlich aussah. Gertenschlank hieß das in Büchern. Ihre Mutter war vierunddreißig und brauchte keinen BH . Das galt für Mallory bereits seit der vierten Klasse nicht mehr.
Tom schaute sie noch immer an, mit dem für ihn typischen schiefen Lächeln auf den Lippen, an das sie sich so gut von seinen früheren Besuchen zu Hause erinnerte. Nimm mich mit , hatte sie mit elf oder zwölf geschrien, wenn er übers Wochenende in der Stadt aufgeschlagen war oder, schlimmer noch, nur für einen viel zu kurzen Tag.
Er hatte ihr als Beweis gedient, dass ein Paoletti sich von den Ketten dieser puritanischen, engstirnigen Stadt voller Klugscheißer befreien konnte. Aber an diesem Tag hielt Tom ihr nur ihre eigene erbärmliche Schwäche vor Augen. Mal war mehr wie ihre Mutter als wie ihr Onkel. Der ganze Scheiß hatte ihr schwer zugesetzt, und so rauchte sie Kette, obwohl sie nicht einmal genug Geld besaßen, um Milch zu kaufen, und war unfähig, sich loszusagen.
»Denk drüber nach«, sagte er zu Mallory. »Ich werde eine Weile hier sein. Wahrscheinlich bis Ende des Monats.«
Ihr entgleisten die Gesichtszüge, das ansonsten ständig präsente gelangweilte Grinsen verschwand, und sie hätte beinahe ihre Zigarette fallen lassen. »Heilige Scheiße!« So lange würde er bleiben?
»Hüte deine Zunge!«, murmelte ihre Mutter.
Tom würde für einige Wochen in der Stadt sein. Es hatte eine Zeit gegeben, da wäre Mallory über solche Neuigkeiten begeistert gewesen. Nun machte es sie nur umso trübsinniger. Wenn bloß sie und Angela im Haus herumhockten, fühlte sie sich nicht so sehr wie eine Versagerin. Immerhin hatte sie im Gegensatz zu ihrer Mutter nicht ihren Gehaltscheck bei Hunderennen im Wonderland versetzt. Doch wenn Tom sich bei ihnen aufhielt, wurde im Vergleich zu ihm offensichtlich, dass sie und ihre Mutter vom gleichen Schlag waren. Zwei Versager. Ein nicht zusammenpassendes Paar Außenseiter. Es würde demnach nur eine Frage der Zeit sein, bis auch sie anfinge, sich von ihren letzten Mäusen Lotterielose zu kaufen, so wie Angela.
Tom stand auf. »Lass mich mal nach dem Boiler sehen«, meinte er. »Falls er ausgetauscht werden muss, werd ich das selbst übernehmen . Ich meine, solange ich in der Stadt bin, kann ich mich auch nützlich machen.«
Das war eine gute Idee. Denn wenn er Angela einfach einen Scheck gäbe, würde das Geld für alles andere draufgehen außer für einen Boiler. Sie ließe sich die Haare färben oder die Nägel machen, würde ein neues Kleid kaufen und darauf setzen, dass das lächerliche Umstyling ihr h ä lfe, sich unten im Schickimicki-Vier-Sterne-Hotel von Baldwin’s Bridge einen reichen Ehemann zu angeln. Sie würde das riskante Spiel wagen und hoffen, das Ende all ihrer Geldsorgen wäre der Lohn .
Na, klar …
Seltsamerweise kam Angela jedoch gut klar, wenn sie gerade einmal genug Geld hatte, um über die Runden zu kommen. Die größeren Summen dagegen verleiteten sie zum Träumen, und es dauerte nie lange, bis diese Träume wie Seifenblasen zerplatzten und sie beide in ein tiefes Loch fielen.
Zweifellos hatte Tom das auch gemerkt.
»Der ist im Keller.« Angela öffnete die Tür und stieg die knarzenden Stufen in das muffige und feuchte Untergeschoss hinunter.
Doch Tom folgte ihr nicht,
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