Toedlicher Hinterhalt
Moment lang in dem Mitternachtsblau ihrer Augen. Dann drehte er sich um, ging durch die Tür hinaus in die Nacht und befolgte damit einen ihrer Grundsätze.
Denn seit der Besetzung lebte Cybele nach drei Regeln. Sie hatte sie ihm einmal verraten, nachdem sie zusammen mehrere Flaschen Wein geleert hatten. Das war in einer Nacht gewesen, die sie damit zugebracht hatten, den Nazis in Ste.-Hélène das Leben etwas ungemütlicher zu machen.
Niemals eine Gelegenheit vergeben, den Nazis einen Gegenschlag zu verpassen, war eine davon. Sich niemals versprechen, einander wiederzusehen, Nummer zwei. Und die dritte lautete, sich niemals zu verlieben. Denn Liebe und Krieg waren eine schreckliche Kombination.
Sie hatte ihm das Versprechen abgenommen, diese Regeln auch zu befolgen, und war in dieser Nacht wie immer allein die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer gegangen.
Joe holte leise eine Schaufel aus dem Schuppen und begann, in dem briefmarkengroßen Garten hinter Cybeles Haus ein Loch auszuheben. Innerlich seufzte er.
Zwei von drei Grundsätzen einzuhalten war doch nicht schlecht.
Doch er nahm an, Cybele würde ihm da widersprechen.
»Vielen Dank«, sagte Kelly zu Tom, als sie die Tür zu dem Zimmer ihres Vaters schloss. »Noch mal.«
Der lange Flur war nur schwach beleuchtet. Eine Lampe unten im Wohnzimmer warf gerade so viel Licht zu ihnen herauf, dass eigentümliche Schatten über ihr Gesicht und ihren Körper fielen. Die ganze Situation wirkte beunruhigend romantisch.
In Toms Kopf arbeitete es. Er trug nur Boxershorts – seine sehr dünnen Baumwollunterhosen –, und hier neben ihm stand Kelly Ashton, nicht irgendein Kneipenhäschen, mit dem er es ein paar Wochen lang treiben und das er dann absägen könnte.
Obwohl Schatten über ihr Gesicht fielen, schienen ihre Augen förmlich zu glühen. Es kam ihm so vor, als würde sie ihn abchecken, als ließe sie den Blick genüsslich über seinen fast nackten Körper gleiten.
Er sah gut aus. Das wusste Tom – auch wenn er durch seinen wochenlangen Krankenhausaufenthalt ein bisschen zu dünn geworden war. Wenn ein Mann so viel Sport trieb wie er und sein SEAL -Team, konnte er nur gut aussehen.
Trotzdem stand da immer noch Kelly Ashton vor ihm, die ihm diese Blicke zuwarf. Kelly Jahrgangsbeste, Phi Beta Kappa, Harvard Medical School Ashton. Kelly Pfadfinderin, Pflegeheimpraktikantin, Kirchenchorsolistin Ashton.
Die ihn einmal geküsst hatte, als ginge die Welt dem Ende entgegen. Die ihn geküsst und damit klargemacht hatte, dass sie sein war – wenn er sie denn wollte.
Natürlich lag das Jahre zurück. Damals war sie fünfzehn Jahre alt gewesen.
»Freut mich, dass ich helfen konnte«, sagte er nun und erinnerte sich an ihren Blick, kurz bevor sie ihn geküsst hatte. Oder vielleicht war er es auch gewesen, der die Initiative ergriffen hatte. Ähnlich wie damals wusste er es nicht mehr. Er hatte nur gedacht, dass es spät war, sie mehr als zwölf Stunden miteinander verbracht hatten und er noch immer nicht bereit war, sie nach Hause zu bringen.
Sie hatten in Joes Kombi gesessen – demselben, der jetzt draußen in der Einfahrt stand – und an einer roten Ampel unten am Jachthafen angehalten. Ihre Unterhaltung war eingeschlafen, weshalb er vermutet hatte, dass Kelly müde war. Zeit, heimzugehen. Doch sie hatte ganz und gar nicht erschöpft gewirkt, als er zu ihr herübersah. Vielmehr war ihm bei dem Ausdruck, den sie in ihren Augen hatte, sprichwörtlich die Spucke weggeblieben.
Tom räusperte sich. »Weißt du, Kel, ich muss mich bei dir entschuldigen.«
Er konnte ihr von den Augen ablesen, dass sie genau wusste, wovon er sprach. Aber sie wandte sich ab. »Nein, musst du nicht.«
»Oh doch. Damals in der Nacht, bevor ich die Stadt verlassen habe –«
»Du hast nur etwas impulsiv gehandelt«, antwortete sie und mied dabei noch immer seinen Blick. »Wir waren beide so jung.«
Sie zumindest. Er selbst war fast neunzehn gewesen. Und der erste Kuss mochte aus einem Impuls heraus geschehen sein, aber was er danach getan hatte, als er auf den dunklen Parkplatz der Bank eingebogen war und den Motor ausgestellt hatte … Das war falsch gewesen. Und dennoch, wenn er die Chance bekäme, es noch einmal anders zu machen, wäre er sich nicht sicher, ob er ihr widerstehen könnte. »Trotzdem wollte ich mich schon lange bei dir dafür entschuldigen. Ich habe ausgenutzt –«
»Oh bitte!« Deutlich verlegen hastete sie die Treppe hinunter und ging eiligen Schrittes auf die Küche
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