Toedlicher Hinterhalt
flüsterte sie ihm zu. »Also versuch nicht, mich zu schonen, Charles.«
In der französischen Form klang sein Name so melodiös, er kam ihr weich und süß über die Lippen.
»Sag es einfach«, flehte sie ihn an.
Also tat er es. »Andre Lague ist tot. Die Nazis haben ihn erschossen.«
Sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus. »Und die Kinder?«
»Ich weiß es nicht«, teilte er ihr mit. »Von irgendwelchen Kindern habe ich nichts gehört.«
»Andre und Mattise halten mehr als ein Dutzend Kinder auf ihrem Dachboden versteckt – Juden und Zigeuner.«
Sie waren nie und nimmer unentdeckt geblieben. Nicht wenn die Nazis das Haus der Lagues durchsucht hatten. Das wusste er, und auch ihr musste es klar sein.
Trotz ihrer Bemühungen, sich wieder zu fangen, zitterte sie noch immer, und er konnte nicht anders, als die Arme um sie zu legen und sie an sich zu ziehen. Als sie sich an ihn klammerte, war er überrascht, welch Stärke sie trotz ihres zarten Körperbaus besaß.
Er hörte, wie sein Stock klappernd zu Boden fiel. Die ganze Welt um ihn herum schien sich plötzlich langsamer zu drehen und schließlich stillzustehen.
Es fühlte sich so richtig und perfekt an, wie sie sich an ihn schmiegte, dass er hätte weinen können. Doch stattdessen atmete er nur ihren süßen Duft ein, schloss die Augen und spürte die warme Sonne auf seinem Gesicht und wie sein Herz schneller schlug.
Andre Lague mochte tot sein, aber Charles lebte. Und Cybele tat es ebenfalls.
Er hob den Kopf, um auf sie hinunterzuschauen, und bemerkte, wie ihre Wimpern in der Sonne schimmerten und das Licht auf ihre zarte Nase und die Wangen fiel.
Ihre Augen waren blutunterlaufen, und ihr Blick wirkte benommen, so als wüsste sie nicht genau, wo sie sich befand und wer sie eigentlich war. Während er sie anschaute, studierte auch sie sein Gesicht und schien überrascht zu sein. Ihm wurde klar, dass er in diesem Moment seine Gefühle nicht mehr hatte verbergen können. Alles war ihm von den Augen abzulesen.
Seine Angst und seine unendliche Erleichterung darüber, sie wohlbehalten vorgefunden zu haben. Seine Trauer und Wut über den Tod ihres Freundes. Sein glühendes, selbstsüchtiges Verlangen, seine banalen physischen Bedürfnisse. Seine Schwäche und der Ekel vor sich selbst, das Wissen darum, dass es falsch wäre, sie so zu küssen, wie er es sich wünschte. Alle diese Empfindungen konnte sie in seinem Gesicht ablesen, ganz so, als stünde er nackt vor ihr.
Er sah Leidenschaft in ihren Augen aufflackern, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, zog seinen Kopf zu sich herunter und flüsterte: »Küss mich! Schnell!«
Sie stieß ihn fast um, als sie ihn aus dem Sonnenlicht in den Schatten schob und gegen die Ziegelsteinwand des Hauses drückte. Sie hatte sich in seinen Armen zu Feuer verwandelt, ihr Mund verbrannte seinen, ihre Hände hatte sie in seinen Nacken gelegt, ein Bein um seines geschlungen. Sie bot ihm die weiche Seite ihrer Oberschenkel dar, als wollte sie … Als ob …
Charles zog sie fest an sich, umfasste mit den Händen ihren wohlgeformten Po und neigte den Kopf, um sie noch stürmischer und inniger zu küssen. Großer Gott! Während er sie wieder und wieder liebkoste, fand er den Saum ihres Rocks. Er fasste darunter und fuhr mit der Handfläche über ihren seidig weichen Oberschenkel.
Dann spürte er ihre Hände an seiner Gürtelschnalle. Ihm blieb fast das Herz stehen. Wollte sie …? Würde sie …?
Plötzlich war das anzügliche Gelächter von Männern zu hören. Als er sich von Cybele löste, sah er, dass drei deutsche Soldaten sie von der offenen Tür zur Bäckerei aus beobachteten.
Cybele zog ihn wieder an sich, küsste ihn erneut und öffnete für einen Moment die Augen, um ihn anzusehen. Erst da verstand er es.
Sie hatte von Anfang an gewusst, dass die Soldaten dort standen. Das hier war nicht echt. Sie wollte die Männer glauben machen, dass sie beide sich zu einem kleinen Stelldichein hier in der Gasse getroffen hatten, und nicht etwa, um über den erschütternden Tod einer ihrer Kameraden aus dem Widerstand zu sprechen.
Das hier war nicht echt … In seine Erleichterung mischte sich ein Anflug tiefer Enttäuschung. Er wusste, wenn sie seinen Gürtel tatsächlich geöffnet hätte, wenn dies alles nicht bloß von ihr gespielt gewesen wäre, dann hätte er sie auf der Stelle, in dieser Gasse geliebt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wer ihnen zusehen und ob sie dabei schwanger werden
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