Toedlicher Hinterhalt
könnte.
Und ohne an Joe zu denken, der sie liebte, oder an Jenny, seine Frau, der Charles die Treue geschworen hatte.
Doch es war nicht echt. Egal, wie sehr Charles Cybele auch wollte, er konnte sie nicht haben. Ihm blieben nur die nächsten paar Augenblicke, diese wenigen Momente, in denen sie zum Schein etwas vorgaben, bis die Deutschen genug davon hatten, zuzusehen.
Also küsste Charles sie.
Nicht so heftig, wie noch kurz zuvor, nicht so begierig und impulsiv, wie bei dem Spiel aus Lippen und Zungen, der in ihm das schmerzliche Verlangen geweckt hatte, ebenso tief und leidenschaftlich in sie zu stoßen.
Nein, diesmal küsste er sie bedächtig. Zärtlich liebkoste er ihren Mund ganz sacht, fast schon träge – aber sehr viel inniger als zuvor.
Diesmal nahm er sich Zeit und kostete sie, prägte sich das Gefühl und ihren Geschmack ein.
Liebte sie.
Sie schmolz förmlich dahin und schaffte es irgendwie, sich noch enger an ihn zu schmiegen.
Es hätte ihm unangenehm sein sollen – nie im Leben entging ihr seine Erregung. Ihr Freund war tot, und Charles stand hier, ganz offensichtlich bereit zu einer schnellen Nummer. Für seine Abgestumpftheit verdiente er eine Ohrfeige. Doch sie ging nicht auf Abstand, sondern klammerte sich weiter an ihn, küsste ihn, selbst als die Deutschen schon längst wieder in den Laden gegangen waren, noch immer langsam und zärtlich.
Doch letzten Endes trat sie einen Schritt zurück, und er ließ zu, dass sie sich aus seinen Armen löste. Mit geschlossenen Augen lehnte er an der Backsteinmauer und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Er fürchtete sich davor, was es sein würde.
Sie rang hörbar nach Atem und räusperte sich. »Charles, bitte, verzeih mir –«
»Nicht«, unterbrach er sie scharf und öffnete die Augen. »Du weißt verdammt gut, dass ich keine Entschuldigung von dir möchte. Und von mir wirst du ganz sicher keine hören, denn ich bereue nichts.«
»En français«, flüsterte sie und sah hinüber zur Tür der Bäckerei.
Das, was er ihr zu sagen hatte, konnte er nicht auf Französisch ausdrücken. Dafür fehlten ihm einfach die richtigen Vokabeln. Andererseits hätte er vermutlich auch auf Englisch nicht die richtigen Worte gefunden.
Er schloss seinen Gürtel und verfluchte im Stillen den Schmerz in seinem Bein, als er den Stock aufhob. Seltsam, dass er ihn gar nicht gespürt hatte, solange seine Hände unter Cybeles Rock gewesen waren. Er wusste nicht, was er unangenehmer und hinderlicher fand, sein steifes Bein oder seine Erektion.
Vielleicht würde sie nun endlich begreifen, dass er ganz und gar kein Held war.
»Wir müssen dich wieder sicher nach Hause bekommen«, teilte sie ihm mit und gab sich große Mühe, normal zu klingen – als hätte sich ihre Zunge nicht noch vor wenigen Minuten in seinem Mund befunden, sie sich nicht mit ihrem warmen Körper an seinen geschmiegt, sie ihn nicht tief in der Seele berührt. Unter Schmerzen folgte er ihr aus der Gasse. »Danach gehe ich zum Haus von Lague –«
»Das ist zu gefährlich«, erklärte er ihr barsch. Mein Gott, wollte sie etwa sterben?
Sie sah ihm nicht in die Augen. »Ich werde vorsichtig sein.«
»Wenn du hingehst, komme ich mit.«
»Das ist Wahnsinn!«
»Genau.«
Er brannte ganz offensichtlich darauf, noch etwas hinzuzufügen, doch auf der Straße befanden sich noch andere Leute und Charles’ Französisch war einfach zu schlecht. Sie gingen so schnell, wie er konnte, den Hügel hinunter, durch das Gatter und zur Rückseite des Hauses. Fast hätte sie ihn durch die Küchentür geschubst.
»Joe ist schon dorthin gegangen, um dich zu suchen«, teilte er ihr schließlich mit. »Lass uns warten, bis er zurück ist, bevor –«
»Diese Kinder«, entgegnete sie. »Zwei von ihnen waren
meine.«
Zwei von ihnen waren …?
»Sie hatten sich erst hier versteckt«, klärte sie ihn auf. »Auf dem Dachboden. Zwei Mädchen. Simone und die kleine Rachel – sie ist erst vier. Aber als es dann so heiß draußen wurde und du hier ankamst, hatte ich Angst, deine Anwesenheit könnte sie in Gefahr bringen …« Sie zitterte jetzt wieder. »Also habe ich sie zu Andre geschickt, damit sie in Sicherheit sind.«
Oh Gott! »Werden sie etwas verraten?« Charles fasste sie bei den Schultern und hätte sie fast geschüttelt. »Kennen sie deinen Namen?«
»Es sind kleine Kinder«, erwiderte sie. »Sie wissen nichts. Rachel hat mich Maman Belle genannt.« Ihre Unterlippe bebte. »Ich muss hingehen. Wenn auch nur die
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