Toedlicher Hinterhalt
besetzten französischen Orts Ste.-Hélène. »Mar-
lise. Die, die bald ein Kind bekommt. Cybele sprach heute Morgen davon, dass sie ihr frischen Spinat aus deinem Garten bringen wolle.«
»Französisch«, zischte Joe. »Sprich nur Französisch. Marlise wohnt über der Bäckerei. Die Bäckerei. Brot. Bäcker. Geh dorthin und komm dann gleich wieder zurück. Verstehst du mich?«
»Oui.«
Joe deutete die Straße hinauf. »Da lang. Gott stehe uns allen bei, falls sie dich erwischen sollten.« Und dann ging er, bewegte sich schneller, als Charles es hinbekam, und ließ ihn allein.
Nicht ganz …
Gütiger Gott! Auf der anderen Straßenseite liefen Leute auf ihn zu. Zwei ältere Frauen und ein Mann in einem eleganten Anzug, modisch geschnitten, als komme er direkt aus einem Verkaufsraum in Paris.
Charles zog die Schultern in seinem lumpigen Hemd hoch, senkte den Kopf und humpelte mit klopfendem Herzen an ihnen vorbei.
Doch keiner der Passanten schaute auf. Niemand rief ihm etwas zu oder forderte ihn sonst irgendwie heraus.
Der Gehweg war uneben, das Kopfsteinpflaster der Straße musste dringend ausgebessert werden. Er bemühte sich, die alten Steinhäuser nicht wie ein amerikanischer Tourist anzuglotzen. Von vielen bröckelte der Putz, aber trotzdem hatten sie etwas Märchenhaftes an sich, eine Art europäischen Zauber, so als müsste vor jedem von ihnen ein Schild mit der Aufschrift »Hier hat Schneewittchen geschlafen« stehen.
Den Hügel hinaufzugehen gestaltete sich anstrengender, als er vermutet hatte, bei jedem Schritt schoss der Schmerz wie eine Flamme durch sein Bein. Aber das war gut. So gab es ein Gegengewicht zu der eiskalten Angst, die ihn in eine Starre fallen zu lassen drohte.
Und dann kam er endlich an. Bei der Bäckerei.
Marlise wohne darüber, hatte Joe gesagt. Als Charles hochschaute, sah er Fenster über der Ladenfront. Doch es gab nur eine Tür – und zwar diejenige, die in das Geschäft führte.
Er konnte sie hören, noch bevor er sie erblickte. Das Getrampel konnte nur von den Armeestiefeln der Deutschen stammen. Ihm standen die Haare zu Berge, als er sich umdrehte. Vier voll uniformierte Nazi-Soldaten kamen direkt auf ihn zu marschiert. Oder vielleicht auch auf die Bäckerei, denn er wartete nicht lange genug, um herauszufinden, worauf genau sie zusteuerten.
Zwischen dem Gebäude und dem nächsten Haus verlief eine schmale Gasse. Er bewegte sich weder schneller noch langsamer, sondern humpelte einfach weiter, als sei dieser Durchgang sein eigentliches Ziel gewesen. Großer Gott! Was, wenn er die Deutschen direkt zu Cybele führte, statt ihr zu helfen?
Da es an dieser Seite des Hauses keine Tür gab, ging er weiter bis zur Rückseite.
Wieder gab es nur einen Ein- und Ausgang, der zur Bäckerei gehörte. Die Tür war angelehnt, und der Duft von frisch gebackenem Brot drang zu ihm heraus. Er humpelte die Stufen hi-nauf, begab sich hinein und …
… sah Cybele. Sie saß mit einer hochschwangeren Frau in der Küche.
Die Frau, Marlise, stieß vor Überraschung einen kurzen Laut aus, als er, ohne anzuklopfen, die Küche betrat.
»Es tut mir leid – wir haben heute keine Arbeit«, teilte sie ihm mit. »Und auch keine Reste, die wir teilen könnten –«
Cybeles Augen weiteten sich unmerklich, als sie ihn erblickte. Sie unterbrach Marlise, indem sie ihr eine Hand auf den Arm legte. »Er ist ein Freund von mir«, erklärte sie in ruhigem Tonfall. »Es muss wohl etwas Dringendes sein.«
Marlise drehte sich weg, als wollte sie sein Gesicht nicht sehen und sich nicht daran erinnern können.
»Ein Tasse Wasser für meinen Freund«, bat Cybele, ohne den Blick von Charles abzuwenden, »dann gehen wir.«
Ihre Freundin deutete auf die Spüle, und Cybele wusch schnell einen Becher ab, bevor sie ihn füllte.
Charles bemerkte, dass er vor Schweiß triefte. Er wischte sich mit dem Hemdsärmel über das Gesicht. Als er ihr das Wasser abnahm, berührten sich ihre Finger. Cybeles Hand zitterte.
»Merci«, begann er, als er ihr die Tasse zurückgab, doch sie legte einen Zeigefinger an die Lippen.
Cybele stellte den Becher ab und begleitete Charles dann zur Tür hinaus, wobei sie immer ein Auge auf ihn hatte, um ihn zu stützen, falls er Schwierigkeiten mit den Stufen haben sollte.
Sie schwieg, während sie ihm voran weiter in die Gasse ging, nur weg von der Bäckerei. In einiger Entfernung drehte sie sich schließlich zu ihm um.
»Ich weiß, dass dein Besuch nichts Gutes zu bedeuten hat«,
Weitere Kostenlose Bücher