Tödlicher Irrtum
sie jemals die Geduld verlieren oder gar in einem Anfall wilder Erregung einen Mord begehen könnte.«
»Und die Dienstboten?« erkundigte sich Oberkommissar Finney.
»Wohnen nicht im Haus; sie gehen alle spätestens um sechs Uhr fort.«
»Ich möchte mich noch einmal über die genauen Zeiten informieren«, verlangte Finney.
Der Superintendent schob ihm die Akten hin.
»Aha… um drei viertel sieben berichtete Mrs Jackson ihrem Mann im Beisein von Gwenda Smith von Clarks Drohungen. Gwenda Smith ging kurz vor sieben nach Hause. Hester Jackson sah ihre Mutter wenige Minuten vor sieben, danach wurde Mrs Jackson nicht mehr gesehen, bis Miss Lindstrom um halb acht ihre Leiche fand. Hester und Gwenda Smith hätten zwischen sieben und halb acht Gelegenheit gehabt, sie umzubringen. Miss Lindstrom hätte Mrs Jackson ermorden können, bevor sie die Leiche ›entdeckte‹. Leo Jackson war von zehn Minuten nach sieben bis halb acht allein in der Bibliothek. Während dieser Zeit hätte er ins Wohnzimmer seiner Frau gehen und sie erschlagen können. Auch Mary Durrant hätte während dieser halben Stunde hinunterkommen und ihre Mutter ums Leben bringen können.« Finney fügte nachdenklich hinzu: »Und außerdem mochte Mrs Jackson selbst während dieser Zeit dem Mörder die Haustür geöffnet haben. Sie werden sich an Leo Jacksons Aussage erinnern – er behauptete, Klingeln und das Öffnen und Schließen der Haustür gehört zu haben, jedoch konnte er sich nicht an die genaue Zeit erinnern. Wir nahmen an, dass es Clark war, der zurückkehrte und seine Mutter ermordete.«
»Er hätte nicht zu läuten brauchen, da er, wie alle anderen, einen Hausschlüssel besaß«, bemerkte Huish.
»Was wissen wir über Michael – den anderen Bruder?«
»Er lebt in Drymouth und ist Autoverkäufer.«
»Bitte versuchen Sie festzustellen, wo er an diesem Abend war«, sagte der Oberkommissar.
»Nach zwei Jahren? Kaum anzunehmen, dass sich irgendjemand erinnern wird«, erwiderte Superintendent Huish.
»Ist er damals verhört worden?«
»Ja; er sagte, er habe eine Probefahrt mit einem Kunden gemacht, aber da auch er einen Hausschlüssel besaß, wäre es auch für ihn technisch möglich gewesen, Mrs Jackson zu ermorden.«
»Ich weiß wirklich nicht, wie Sie diesen Fall anpacken wollen, Superintendent.«
»Ich werde alles daransetzen herauszufinden, wer sie ermordet hat«, erklärte Huish.
6
I m Odeon-Palast verlöschten langsam die Lichter, und die Reklamespots begannen, über die Leinwand zu huschen. Die Platzanweiserinnen wanderten durch die Gänge und boten Eis und Limonade zum Kauf an. Arthur Calgary beobachtete sie aufmerksam: Er sah ein rundliches Mädchen mit braunem Haar, eine große Schwarzhaarige und eine kleine Blonde, deretwegen er gekommen war. Clarks Frau, oder vielmehr seine Witwe, war jetzt mit einem Mann namens Joe Clegg verheiratet. Calgary kaufte ihr eine Portion Eis ab und betrachtete dabei ihr hübsches, ausdrucksloses Gesicht, das mit einer dicken Puderschicht bedeckt war, die stark geschminkten Lippen und das glanzlose, durch eine billige Dauerwelle steif gekräuselte Haar. Er beabsichtigte, sie später aufzusuchen, aber zunächst einmal wollte er sie ungestört beobachten. Mrs Jackson hätte sich bestimmt eine andere Schwiegertochter gewünscht, dachte er und begriff, warum Clark seinen Eltern ihre Existenz verheimlicht hatte.
Er seufzte, verstaute den ungeöffneten Eisbecher unter seinem Sitz, stand auf und verließ das Kino.
Am nächsten Morgen um elf stand er vor einem bescheidenen Mietshaus, stieg drei Treppen hoch und läutete. Maureen Clegg öffnete die Tür. Ohne die fesche Uniform und ungeschminkt sah sie völlig verändert aus – dumm, uninteressant, aber gutmütig. Jetzt jedoch blickte sie ihn misstrauisch an. Er stellte sich vor.
»Mein Name ist Calgary, Arthur Calgary. Soviel ich weiß, hat Ihnen Mr Marshall meinen Besuch angekündigt.«
Ihr Gesicht hellte sich auf.
»Ach, Sie sind es, kommen Sie doch bitte herein. Entschuldigen Sie die Unordnung, ich hatte noch keine Zeit aufzuräumen.«
Sie nahm einige zerdrückte Kleidungsstücke von einem Stuhl und schob das Frühstücksgeschirr zur Seite.
»Bitte, nehmen Sie Platz. Wie nett von Ihnen, mich zu besuchen!«
»Ich wollte Sie doch wenigstens kennen lernen«, erwiderte Calgary.
Sie lachte verlegen.
»Mr Marshall schreibt, dass die Geschichte, die sich Clark damals ausgedacht hat, wirklich wahr sein soll«, sagte sie. »Mir schwirrt noch
Weitere Kostenlose Bücher