Tödlicher Irrtum
er. »Welchen Sinn hat es, die Vergangenheit wiederaufzurühren? Maureen hatte Pech, aber jetzt hat sich alles wieder eingerenkt.«
»Da haben Sie allerdings Recht«, erwiderte Calgary.
»Natürlich hab ich das«, bekräftigte Joe Clegg. »Sie hätte sich einfach nie mit einem solchen Kerl einlassen sollen. Ich hab immer gewusst, dass er nichts taugt. Schon vorher ist er zweimal nur auf Bewährung freigekommen. Wenn einer schon mal mit so was anfängt, macht er auch weiter. Es beginnt damit, dass man Frauen um ihr Geld bringt, und endet damit, dass man einen umbringt.«
»Aber er hat niemanden umgebracht«, widersprach Calgary.
»Das sagen Sie, Sir«, meinte Joe. Und ließ deutlich durchblicken, dass er keineswegs davon überzeugt war.
»Clark Jackson hat ein hieb- und stichfestes Alibi für die Tatzeit. Er war zusammen mit mir im Auto auf der Fahrt nach Drymouth. Sie sehen also, Mr Clegg, er kann das Verbrechen überhaupt nicht begangen haben.«
»Da mögen Sie schon Recht haben, Sir«, gab Joe Clegg zu. »Aber trotzdem – entschuldigen Sie, wenn ich das so offen sage – ist es ein Jammer, dass die ganze Sache noch mal aufgerührt werden muss. Schließlich ist er tot, und ihm nützt es nichts mehr. Aber die Nachbarn fangen wieder an zu tuscheln und machen sich so ihre Gedanken.«
Calgary erhob sich.
»Von Ihrem Standpunkt aus kann man das vielleicht so sehen. Aber es gibt ja wohl noch so etwas wie Gerechtigkeit – Sie verstehen, Mr Clegg?«
»Ich hab immer gedacht, dass ein englisches Gerichtsverfahren die gerechteste Sache von der Welt ist«, beharrte Clegg.
»Auch im besten System der Welt können Fehler gemacht werden«, sagte Calgary. »Die Gerechtigkeit liegt in den Händen von Menschen – und Menschen sind nun mal fehlbar.«
Nachdem Calgary das Haus verlassen hatte, ging er sehr nachdenklich durch die Straßen. Wäre es vielleicht wirklich besser gewesen, wenn sein Erinnerungsvermögen nicht zurückgekehrt wäre? Clark war tot, ihm konnte das alles nichts mehr helfen. Er stand vor einem Richter, der niemals einen Fehler machte…
Aber plötzlich stieg Ärger in ihm auf. Und doch ist meine Aussage von ausschlaggebender Bedeutung, dachte er, und irgendjemand sollte froh darüber sein. Warum war das nicht der Fall? Maureens Reaktion schien ihm verständlich, denn sie hatte Clark niemals wirklich geliebt, wahrscheinlich war sie überhaupt unfähig zu lieben. Aber die anderen…?
Die Bibliothek in Redmyn, in der Christina Jackson arbeitete, war nicht sehr stark besucht an diesem Abend. Arthur Calgary sah sich in der hellen, freundlichen Halle, deren Wände mit Bücherregalen vollgestellt waren, um. Ein älterer Herr in grauem Staubkittel gab ihm bereitwillig Auskunft:
»Miss Jackson? Dort, am zweiten Schreibtisch.«
Calgary wartete einen Augenblick, um sie zu beobachten.
Sie war klein, adrett, ruhig und gewandt. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit weißem Kragen und Manschetten. Ihr blauschwarzes Haar war zu einem Knoten gewunden. Ihre Haut war dunkel, einen guten Ton dunkler als die Haut einer Engländerin, und sie war viel feingliedriger. Sie war das Mischlingskind, das Mrs Jackson in ihre Familie aufgenommen hatte.
Die dunklen Augen, die ihn anblickten, wirkten undurchsichtig, geheimnisvoll.
Ihre Stimme klang tief und sympathisch.
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Sind Sie Miss Christina Jackson?«
»Ja.«
»Ich bin Arthur Calgary. Sie haben wohl schon von mir gehört…«
»Ja, mein Vater hat mir von Ihrem Besuch berichtet.«
»Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«
Sie sah auf die Uhr.
»Die Bibliothek wird in einer halben Stunde geschlossen. Könnten Sie solange warten?«
»Selbstverständlich. Würden Sie dann vielleicht eine Tasse Tee mit mir trinken?«
»Ja, gern.«
Dann wandte sie sich an einen Mann, der hinter ihm stand. »Sie wünschen?«
Arthur Calgary wanderte in der Bibliothek umher; während er hier und da ein Buch aus dem Regal nahm, beobachtete er Tina Jackson verstohlen. Sie blieb auch weiter ruhig und sachlich. Endlich läutete eine Glocke, und sie nickte ihm freundlich zu.
»Ich komme in ein paar Minuten raus.«
Er musste nicht lange warten. Sie trug einen schweren, dunklen Mantel, aber keinen Hut.
»Ich kenne mich in Redmyn nicht aus. Wohin wollen wir gehen?«, fragte er.
»In der Nähe der Kathedrale ist eine Teestube, die zwar nicht besonders gut ist, aber dafür auch nicht überfüllt. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten.«
Bald saßen
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