Tödlicher Irrtum
finanzierten sie ihm geschäftliche Unternehmungen, die jedoch beide mit einem Bankrott endeten. Nach seinem Tode setzten sie seiner Witwe eine Monatsrente aus, die sie noch immer erhält.«
Calgary beugte sich erstaunt vor.
»Seiner Witwe? Ich hatte keine Ahnung, dass er verheiratet war.«
»Das hätte ich natürlich auch gleich erwähnen sollen«, meinte der Anwalt entschuldigend. »Ich vergaß ganz, dass Sie das ja gar nicht wissen können. Übrigens wusste seine Familie auch nicht, dass er verheiratet war, aber als seine Frau, gleich nach Clarks Verhaftung, verzweifelt im Sonneneck erschien, wurde sie von Mr Jackson freundlich empfangen. Die junge Frau war vor ihrer Heirat Eintänzerin im ›Palais de Danse‹ in Drymouth gewesen; wenige Wochen nach Clarks Tod heiratete sie einen Elektrotechniker – die beiden leben heute in Drymouth.«
»Ich muss sie unbedingt sprechen; können Sie mir ihre Adresse geben?«, fragte Calgary.
»Selbstverständlich; ich hätte Sie wirklich sofort von ihrer Existenz informieren sollen, aber sie spielte praktisch keine Rolle bei dem Fall, selbst die Zeitungen wussten nicht viel über sie zu schreiben. Sie besuchte ihren Mann nicht einmal im Gefängnis und zeigte keinerlei Interesse an seinem Schicksal.«
Calgary war sehr nachdenklich geworden. Schließlich fragte er: »Können Sie mir genau sagen, wer am Abend des Mordes im Sonneneck war?«
Marshall sah ihn scharf an.
»Leo Jackson und Hester, die jüngste Tochter. Mary Durrant und ihr Mann, der gerade aus dem Krankenhaus gekommen war, weilten im Sonneneck zu Besuch. Außerdem war Kirsten Lindstrom da – Sie haben sie wahrscheinlich kennen gelernt. Sie ist eine schwedische Krankengymnastin und Masseuse, die ursprünglich als Helferin für das Kriegskinderheim angestellt wurde und auch nach dem Krieg bei den Jacksons geblieben ist. Michael und Tina waren nicht im Haus; Michael ist Autoverkäufer in Drymouth, Tina ist bei der Volksbibliothek in Redmyn angestellt, und sie hat dort eine eigene Wohnung. Miss Smith, Leo Jacksons Sekretärin, war ebenfalls anwesend, jedoch hatte sie das Haus bereits verlassen, als die Leiche gefunden wurde.«
»Ich hatte den Eindruck, dass sie – dass sie sehr an Leo Jackson hängt.«
»Ja, das stimmt; ich glaube, dass die Verlobung der beiden bald bekannt gegeben wird.«
»Wirklich?«
»Mr Jackson war seit dem Tode seiner Frau sehr einsam«, erklärte der Anwalt.
»Das lässt sich denken«, meinte Calgary trocken. Dann fragte er: »Was mag das Motiv für den Mord gewesen sein, Mr Marshall?«
»Darüber kann ich mir leider kein Urteil erlauben.«
»Ich glaube doch; Sie sagten selbst, dass Sie mit allen Tatsachen vertraut seien.«
»Niemand hatte einen direkten finanziellen Nutzen zu erwarten. Mrs Jackson hatte ihr Vermögen in mehrere Fonds aufgeteilt, die alle für ihre Kinder bestimmt sind und von drei Treuhändern verwaltet werden. Ich selbst bin einer dieser Treuhänder, der Zweite ist Leo Jackson, und der Dritte ist ein amerikanischer Rechtsanwalt, ein entfernter Verwandter von Mrs Jackson.«
»Hat Mrs Jackson ihrem Mann nicht einen Teil ihres Vermögens hinterlassen?«
»Wie ich Ihnen bereits sagte, hat sie praktisch ihren ganzen Besitz in verschiedene Fonds gesteckt; sie vermachte ihrem Mann nur einen kleinen Rest ihres Vermögens.«
»Und Miss Lindstrom?«
»Mrs Jackson setzte ihr eine beträchtliche Jahresrente aus; diese Bestimmung war schon vor Jahren getroffen worden. Nein, Ihre Frage nach einem Motiv kann ich wirklich nicht beantworten«, fügte Marshall hinzu, »jedenfalls war es nicht finanzieller Art.«
»Könnte es emotional bedingt gewesen sein? Gab es innerhalb der Familie oft Unstimmigkeiten?«
»In diesem Punkt kann ich Ihnen leider gar nicht helfen«, erklärte Marshall. »Ich hatte, wie gesagt, nie Gelegenheit, das Familienleben zu beobachten.«
»Wer könnte mir darüber Auskunft geben?«
Marshall überlegte einen Augenblick, dann sagte er zögernd:
»Vielleicht sollten Sie sich mit dem dortigen Arzt in Verbindung setzen, er heißt, glaube ich, Dr. MacMaster. Er hat sich zwar inzwischen zur Ruhe gesetzt, aber er wohnt noch in der Gegend. Er war während des Krieges Arzt im Kinderheim und muss über das Leben und Treiben im Sonneneck Bescheid wissen. Ich kann Ihnen natürlich nicht versprechen, dass er bereit sein wird, Ihnen zu helfen… außerdem begreife ich nicht recht, wozu Sie sich die Mühe machen. Glauben Sie wirklich, dass Sie mehr erreichen
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