Tödlicher Irrtum
betrachtete sie stirnrunzelnd das Resultat. Sie zuckte nervös zusammen, als hinter ihr im Spiegel ein anderes Gesicht auftauchte.
»Aha, du hast Angst«, stellte Kirsten Lindstrom fest.
»Angst, Kirsty? Vor wem?«
»Vor mir. Du glaubst, dass ich mich heimlich herangeschlichen habe, um dich hinterrücks zu erschlagen.«
»Mach dich nicht lächerlich, Kirsty. Warum sollte ich denn auf einen solchen Gedanken kommen?«
»Du bist darauf gekommen, und mit vollem Recht«, beharrte Kirsten. »Wir fürchten uns vor jedem Schatten, wir blicken misstrauisch in jede Ecke, wir alle wissen jetzt, dass wir in diesem Haus nicht sicher sind.«
»Wie dem auch sei, vor dir brauche ich keine Angst zu haben, Kirsty!«
»Woher weißt du das?«, fragte Kirsten. »Ich habe neulich erst in der Zeitung von einer Frau gelesen, die jahrelang bei einer Freundin wohnte, bis sie diese eines Tages plötzlich umbrachte. Sie erwürgte sie – versuchte ihr die Augen auszukratzen – und warum? Weil sie glaubte, die Freundin sei vom Teufel besessen, weil sie davon überzeugt war, dass sie den Teufel ausrotten müsse.«
»Ja, ich erinnere mich auch, aber diese Frau war verrückt«, sagte Hester.
»Sie selbst wusste nicht, dass sie verrückt war, und den Menschen ihrer Umgebung war es auch nicht aufgefallen. Wer weiß, was in so einem armen, verwirrten Gehirn vorgeht? Weißt du, wie es in meinem Kopf aussieht? Vielleicht bin ich auch verrückt, vielleicht habe ich eines Tages geglaubt, deine Mutter sei der Antichrist, und es sei meine Pflicht, sie zu vernichten.«
»Was ist das alles für ein Unsinn, Kirsty!«
Kirsten Lindstrom seufzte und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Natürlich ist es Unsinn. Ich hab deine Mutter sehr gern gehabt, und sie ist immer gut zu mir gewesen. Ich versuche nur, dir klarzumachen, dass du niemandem trauen kannst.«
Hester drehte sich um und sah Kirsten Lindstrom nachdenklich an.
»Ich glaube, du meinst es wirklich ernst.«
»Ja, es ist mir sehr ernst«, erwiderte Kirsten. »Es hat keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Dieser Dr. Calgary hat uns bewiesen, dass Clark den Mord nicht begangen haben kann, folglich muss ein anderer der Mörder sein – einer von uns.«
»Nein, nein, das ist unmöglich, Kirsty! Vielleicht war es ein Einbrecher oder jemand, der einen Groll gegen Mutter hegte.«
»Glaubst du, deine Mutter hätte den Betreffenden ins Haus gelassen?«
»Ich halte es für durchaus möglich«, erwiderte Hester. »Du weißt doch, dass sie immer bereit war, sich die Geschichten von Leuten anzuhören, die vom Pech verfolgt waren. Glaubst du nicht, dass Mutter eine solche Person hereingelassen hätte?«
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Kirsten bestimmt. »Jedenfalls hätte sie nicht ruhig zugesehen, wie diese Person den Feuerhaken hochhob, um sie zu erschlagen. Nein, es muss jemand gewesen sein, den sie kannte, dem sie vertraute.«
»Bitte, bitte, hör auf, Kirsty! Warum musst du das alles wieder hervorzerren?«
»Weil andere das bereits getan haben. Aber ich will jetzt nicht weiter darüber sprechen, ich will dich nur noch mal warnen: Sei auf der Hut – vor mir, vor Mary, vor deinem Vater und vor Gwenda Smith.«
»Wie soll ich in einer solchen Atmosphäre des Misstrauens leben?«
»Ich möchte dir einen guten Rat geben: Verlass dieses Haus!«
»Das geht im Augenblick nicht.«
»Warum nicht? Wegen des jungen Arztes?«
»Ich weiß nicht, wen du meinst, Kirsty«, sagte Hester errötend.
»Dr. Craig! Er ist ein sehr netter junger Mann und ein guter, gewissenhafter Arzt. Trotzdem hielte ich es für besser, wenn du ausziehen würdest.«
»Unsinn, Unsinn!« rief Hester ärgerlich. »Ich wünschte, dieser Calgary wäre nie hierher gekommen!«
»Das wünschte ich auch – von ganzem Herzen«, sagte Kirsten.
Leo Jackson unterzeichnete den Brief, den Gwenda Smith ihm vorlegte.
»Ist das der Letzte?«, fragte er.
»Ja.«
»Wir sind fleißig gewesen heute«, stellte er lächelnd fest.
Nachdem Gwenda alle Briefe frankiert hatte, fragte sie:
»Wie steht es eigentlich mit deiner Reise?«
»Mit der Reise?«, erwiderte Leo Jackson unsicher.
»Ja, du wolltest doch nach Rom und nach Siena wegen der Dokumente, von denen Kardinal Massilini dir vor kurzem berichtet hat.«
»Ja, ich entsinne mich.«
»Soll ich einen Flug buchen, oder möchtest du lieber mit dem Zug fahren?«
Leo schien tief in Gedanken versunken zu sein; er lächelte
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