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Tödlicher Irrtum

Tödlicher Irrtum

Titel: Tödlicher Irrtum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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dass sie ihre Wohltäterin mit einem Feuerhaken erschlagen hätte – sie konnte schließlich das Haus jederzeit verlassen. Was Leo Jackson anbetrifft…«
    »Ja, was halten Sie von ihm?«
    »Er wird wieder heiraten, und ich wünsche ihm von Herzen alles Gute«, sagte Dr. MacMaster. »Gwenda ist ein reizendes Mädchen, warmherzig, gutmütig, zuverlässig – und sie liebt ihn schon seit Jahren. Was hielt sie von Mrs Jackson? Nun, das werden Sie sich selbst denken können. Für sie wurde durch Mrs Jacksons Tod vieles leichter. Leo Jackson ist nicht der Mann, der zu Lebzeiten seiner Frau ein Verhältnis mit seiner Sekretärin beginnt, er wäre auch nicht auf den Gedanken gekommen, seine Frau zu verlassen.«
    »Ich habe beide gesehen und mit beiden gesprochen«, meinte Calgary nachdenklich, »ich kann mir nicht denken, dass einer von ihnen…«
    »Ich auch nicht«, stimmte Dr. MacMaster ihm zu, »und doch: Ein Mitglied der Familie muss es getan haben.«
    »Glauben Sie wirklich?«
    »Ich kann es mir nicht anders vorstellen. Auch die Polizei ist davon überzeugt, dass es kein Außenstehender war, und sie hat wahrscheinlich Recht.«
    »Aber wer war es?«
    Dr. MacMaster zuckte die Achseln.
    »Man weiß es einfach nicht.«
    »Aber haben Sie denn niemand besonders in Verdacht? Sie kennen doch alle ziemlich gut.«
    »Nein, wirklich nicht – und selbst wenn ich einen bestimmten Verdacht hätte, würde ich ihn nicht aussprechen. Was habe ich schließlich in der Hand? Ich halte keinen von ihnen für einen Mörder, und doch sieht es so aus, als sei einer der Hausbewohner der Schuldige.«
    »Nein«, fügte er nach einer Pause langsam hinzu. »Ich fürchte, wir werden die Wahrheit niemals erfahren. Die Polizei wird Untersuchungen anstellen und alles tun, was in ihren Kräften steht, um der Sache auf den Grund zu gehen. Aber Beweise zu finden nach so langer Zeit und bei so wenig Anhaltspunkten…«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Nein«, wiederholte er, »ich glaube nicht, dass die Wahrheit jemals ans Licht kommt. Man liest über dergleichen immer mal wieder. Da gibt es Fälle, die fünfzig – hundert Jahre zurückliegen, bei denen weiß man genau, es kommen nur drei oder vier oder fünf Personen für die betreffende Tat in Frage, einer von diesen wenigen muss der Verbrecher sein, aber wer, das wird man nie herausfinden, weil zu wenig Beweismaterial vorhanden ist.«
    »Und Sie glauben, im Fall Jackson wird es genauso sein?«
    »Nun«, erwiderte Dr. MacMaster zögernd, »ja, das glaube ich…«
    Er warf einen raschen Blick auf Calgary.
    »Und das ist furchtbar, nicht wahr?«
    »Das wäre furchtbar«, bestätigte Calgary. »Der Unschuldigen wegen – das waren ihre Worte.«
    »Wessen Worte?«
    »Hesters – sie sagte, die Unschuldigen müssten für die Schuldigen leiden – und wenn wir die Wahrheit nicht erfahren sollten – «
    »Sie haben Recht.« Dr. MacMaster nickte. »Ja, wenn wir die Wahrheit wenigstens wüssten. Auch wenn niemand verhaftet oder verurteilt oder bestraft würde. Nur wissen müsste man sie. Sonst…«
    Er schwieg.
    »Ja?« versuchte Calgary ihn zum Weitersprechen zu bringen.
    »Sie können sich selbst vorstellen, was dann geschieht«, wehrte MacMaster müde ab. »Ich brauche es Ihnen nicht zu sagen. Aber es erinnert mich lebhaft an den Bravo-Fall – er liegt schon über hundert Jahre zurück, aber immer wieder wird darüber geschrieben: Die Ehefrau könnte es gewesen sein oder Mrs Cox oder Dr. Gully – und vielleicht hatte Charles Bravo das Gift doch selbst genommen. Jede Menge plausible Theorien gab es – aber keiner konnte überführt werden.
    Und so starb Florence Bravo, von der Familie fallen gelassen, am Alkohol, Mrs Cox, von allen geächtet, lebte mit ihren drei Jungen bis ins hohe Alter unter Leuten, die sie für eine Mörderin hielten, und Dr. Gully war persönlich und beruflich ruiniert…«
    »Einer war schuldig – und lebte mit dieser Schuld. Die anderen waren unschuldig – doch ihr Leben war zerstört.«
    »Ja«, sagte der Arzt. »Es wäre tragisch, wenn der Schuldige nicht zur Verantwortung gezogen würde und der Verdacht weiter auf einem der Unschuldigen ruhte; das darf nicht geschehen.«
    »Nein, das darf nicht geschehen«, wiederholte Calgary erregt. »Das darf auf keinen Fall geschehen.«

8
     
    H ester Jackson betrachtete ihr Spiegelbild. Ihr Blick verriet keine Eitelkeit, sondern eher die Scheu eines unsicheren Menschen. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und kämmte es zur Seite, dann

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