Tödlicher Irrtum
Jacksons war – ein Kind mit schweren Komplexen, würde man heutzutage sagen. Ich bin im Laufe der Jahre so manchem ›Clark‹ begegnet, und viele Eltern sagten dann, wenn es zu spät war: ›Hätten wir den Jungen in seiner Jugend doch nur etwas strenger angefasst!‹ Ich persönlich glaube allerdings nicht, dass die Erziehung da einen großen Unterschied macht; wenn ein Kind einen schlechten Charakter hat, ist Hopfen und Malz verloren. Manche entwickeln sich zu Verbrechern, weil sie ein unglückliches Heim und zu wenig Liebe hatten, andere weil sie zu sehr verwöhnt wurden; viele wären in jedem Fall auf die schiefe Bahn geraten – und zu denen gehörte Clark.«
»Sie waren also nicht überrascht, als er unter Mordverdacht verhaftet wurde?«
»Ich war überrascht, aber, offen gestanden, nicht, weil ich Clark keinen Mord zugetraut hätte. Er war ein gewissenloser Mensch. Erstaunt war ich lediglich über die Art und Weise, wie der Mord verübt worden war.
Ich hätte es Clark zugetraut, mit anderen einen Mord zu planen, aber die eigentliche Tat vielleicht im letzten Augenblick einem Komplizen zu überlassen. Er war der Typ, der andere zu einem Verbrechen anstiftet, aber nicht den Mut gehabt hat, es selbst auszuführen – offenbar habe ich mich nun doch geirrt.«
Calgary blickte auf den abgeschabten Teppich, dessen Muster kaum mehr erkennbar war.
»Ich konnte nicht ahnen, welchen Schwierigkeiten ich begegnen und welche Wirkung mein Erscheinen auf die Familie haben würde.«
Der Arzt nickte.
»Sie waren sich nicht darüber klar, dass die veränderten Umstände zu schwerwiegenden Konflikten innerhalb der Familie führen mussten«, sagte er.
»Ja, und darüber wollte ich mit Ihnen sprechen, Herr Doktor, und über die sonderbare Tatsache, dass – wenigstens auf den ersten Blick – kein Motiv vorhanden zu sein scheint.«
»Nein, auf den ersten Blick nicht«, bestätigte der Arzt, »aber bei genauerer Betrachtung ergeben sich doch verschiedene Gründe, aus denen ihr jemand nach dem Leben getrachtet haben mochte.«
»Ja? Das ist interessant.«
»Keines der Kinder war imstande, sein eigenes Leben zu führen, solange Mrs Jackson am Leben war.«
»Inwiefern?«
»Obwohl sie finanziell für ihre Kinder gesorgt hatte, waren sie nur theoretisch selbständig – in der Praxis mussten sie sich nach den Wünschen ihrer Mutter richten.
Es war faszinierend zu beobachten, wie sie alle versuchten, sich der mütterlichen Bevormundung zu entziehen. Sie plante die Zukunft ihrer Kinder, und ihre Pläne waren nicht schlecht. Sie verschaffte ihnen ein gemütliches Heim, eine gute Erziehung, ein reichliches Taschengeld und eine gründliche Ausbildung für den Beruf, den sie für jedes der Kinder ausgewählt hatte. Sie wollte sie so behandeln, als wären sie ihre leiblichen Kinder, aber das war ja nicht der Fall – sie hatten völlig andere Veranlagungen und Wünsche als ihre Adoptiveltern.
Micky ist inzwischen Autoverkäufer geworden.
Hester lief von zu Hause fort, um Schauspielerin zu werden. Sie verliebte sich in einen unmöglichen Menschen und besaß außerdem überhaupt kein schauspielerisches Talent. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ins Sonneneck zurückzukehren und zuzugeben, dass ihre Mutter recht gehabt hatte.
Mary Durrant bestand während des Krieges darauf, einen Mann zu heiraten, vor dem ihre Mutter sie gewarnt hatte. Er war intelligent und tapfer, besaß jedoch keine Spur von Geschäftssinn. Dann bekam er spinale Kinderlähmung und wurde als Rekonvaleszent ins Sonneneck gebracht. Mrs Jackson versuchte, das junge Paar dazu zu bewegen, ständig bei ihr zu leben. Aber Mary Durrant wehrte sich mit aller Macht gegen diesen Plan ihrer Mutter, obwohl ihr Mann nichts dagegen einzuwenden hatte. Sie wollte ihr Heim und ihren Philip für sich behalten. Wenn ihre Mutter nicht gestorben wäre, hätte sie zweifellos doch noch irgendwann nachgeben müssen.
Micky hatte einen Minderwertigkeitskomplex, weil seine eigene Mutter ihn verlassen hatte. Er hat als Kind sehr darunter gelitten und es auch als Erwachsener niemals ganz verwunden. Ich glaube, dass er seine Adoptivmutter im Grunde seines Herzens gehasst hat.
Nun kommen wir zu der schwedischen Masseuse. Sie konnte Mrs Jackson nicht leiden, aber sie mochte Leo Jackson, und sie liebte die Kinder. Mrs Jackson war sehr gut zu ihr, und wahrscheinlich bemühte sie sich, dankbar zu sein, ohne dass ihr das so recht gelang. Allerdings war ihre Abneigung wohl nicht so groß,
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