Tödlicher Irrtum
vor kurzem Mitglied einer Südpolexpedition. Wir sind erst vor wenigen Wochen nach England zurückgekehrt.«
»Waren Sie bei der Hayes-Bentley-Expedition?«, fragte Gwenda.
Er schaute sie dankbar an.
»Ja. Ich erzähle Ihnen das vor allem, um zu erklären, dass ich seit fast zwei Jahren von der Welt und den Ereignissen des Tages abgeschnitten war.«
Sie bemühte sich, ihm zu helfen.
»Sie meinen Ereignisse wie Mordprozesse.«
»Sehr richtig, genau das meine ich, Miss Smith.«
Er wandte sich an Jackson.
»Ich möchte Ihnen nicht wehtun, aber ich muss Sie leider bitten, mir einige Daten und Zeiten zu bestätigen. Im vorigen Jahr, am neunten November, gegen achtzehn Uhr, kam Ihr Sohn Clark in Ihr Haus und hatte eine Unterhaltung mit seiner Mutter, Mrs Jackson.«
»Ja.«
»Er teilte ihr mit, dass er sich in einer schwierigen Lage befinde. Er verlangte Geld – und zwar nicht zum ersten Mal.«
»Das stimmt, er hat oft Geld von uns verlangt«, seufzte Leo Jackson.
»Mrs Jackson schlug ihm seine Bitte ab. Er wurde sehr ärgerlich, und bevor er fortging, drohte er wiederzukommen und sie zu zwingen, ihm Geld zu geben. ›Du willst doch nicht, dass ich ins Gefängnis komme, oder?‹ sagte er, und sie erwiderte: ›Ich fange an zu glauben, dass das vielleicht das Beste für dich wäre.‹«
Leo Jackson wurde unruhig.
»Meine Frau und ich hatten uns darüber ausgesprochen. Wir waren sehr unglücklich über unseren Jungen. Wieder und wieder halfen wir ihm und versuchten, ihm noch einmal eine Chance zu geben. Wir glaubten, dass die Gefängnisdisziplin ihm möglicherweise…« Seine Stimme wurde unhörbar.
Schließlich sagte er: »Bitte, fahren Sie fort.«
»Am späten Abend dieses Tages wurde Ihre Frau ermordet – mit einem Feuerhaken erschlagen. Auf dem Feuerhaken befanden sich Fingerabdrücke Ihres Sohnes, und eine größere Geldsumme war aus dem Schreibtisch Ihrer Frau verschwunden. Die Polizei fand Ihren Sohn in Drymouth. Das Geld trug er bei sich – hauptsächlich in Fünfpfundscheinen. Auf der Rückseite eines dieser Scheine stand eine Adresse – und so konnte der Bankbeamte, der Ihrer Frau das Geld am gleichen Morgen ausgehändigt hatte, den Schein identifizieren. Bei dem darauffolgenden Prozess gegen Ihren Sohn lautete das Urteil: vorsätzlicher Mord.«
Das schicksalsschwere Wort war gefallen – MORD.
Calgary fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Ich hörte von dem Verteidiger, Mr Marshall, dass Ihr Sohn bei seiner Verhaftung seine Unschuld wiederholt und ausdrücklich beteuert habe. Er behauptete, ein einwandfreies Alibi für die Zeit zu besitzen, während der Mord, nach Aussagen der Polizei, verübt worden war – nämlich zwischen sieben und halb acht.
Clark Jackson sagte, dass er um diese Zeit mit einem Auto, dessen Fahrer ihn auf der Landstraße von Redmyn nach Drymouth, etwa anderthalb Kilometer von hier, kurz vor sieben mitgenommen hatte, in Drymouth einfuhr. Da es schon dunkel war, konnte er die Automarke nicht erkennen, aber er wusste, dass die schwarze oder dunkelblaue Limousine von einem Mann in mittleren Jahren gefahren wurde. Man bemühte sich vergeblich, eine Spur des Wagens und seines Fahrers zu entdecken, und schließlich waren selbst seine Verteidiger davon überzeugt, dass der Angeklagte diese Geschichte frei erfunden hatte.
Beim Prozess stützte sich die Verteidigung in der Hauptsache auf die Aussagen der Psychologen und versuchte, auf Unzurechnungsfähigkeit zur Tatzeit – infolge der psychischen Labilität des Angeklagten – zu plädieren. Diese ›Beweise‹ wurden vom Richter in einer sarkastischen Zusammenfassung zerpflückt; Clark wurde für schuldig befunden und zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt. Sechs Monate später starb der Gefangene an einer Lungenentzündung.«
Drei Augenpaare waren auf Calgary gerichtet. Gwendas Augen spiegelten Interesse und Aufmerksamkeit – Hesters Misstrauen – Leo Jacksons blickten ausdruckslos.
»Würden Sie mir bestätigen, dass diese Tatsachen korrekt sind?«, bat Calgary.
»Ja – sie sind korrekt«, stellte Leo fest. »Ich weiß nicht, warum diese schmerzlichen Dinge, die wir vergessen möchten, wieder aufgerührt werden mussten.«
»Ich habe den Eindruck, dass Sie mit dem Urteil des Richters übereinstimmen, oder irre ich mich?«
»Sie irren sich nicht; die Tatsachen lassen sich nicht leugnen, und man muss zu der logischen Schlussfolgerung kommen, dass es zweifellos – ein Mord war. Sobald man sich jedoch eingehender mit der
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