Tödlicher Mittsommer
und Thomas damit fertig waren, die Leitlinien für das weitere Vorgehen festzulegen, war es spät geworden.
Kalle Lidwall und Erik Blom sollten gleich am nächsten Morgen nach Sandhamn hinausfahren, um mit den Ermittlungen zu beginnen. Thomas würde später nachkommen. Im Laufe des Abends waren sie das Material über die beiden Berggrens, das ihnen momentanzur Verfügung stand, noch einmal durchgegangen. Carina hatte sich an den Computer gesetzt und alle möglichen amtlichen Datenbanken durchforstet, um das Bild zu vervollständigen.
Da sich bei mehr als achtzig Prozent der Morde oder Mordversuche, die in Schweden begangen werden, Täter und Opfer kennen, mussten sie sich ein Bild von den Arbeits- und Lebensverhältnissen der Berggrens machen. Das hieß, sich die Menschen im Umfeld von Kicki und Krister Berggren genau anzusehen und zu entscheiden, wer von ihnen polizeilich vernommen werden sollte. Das hieß ferner, die Puzzlesteinchen so aneinanderzulegen, dass ein Bild von Personen mit einem möglichen Motiv entstand.
Gleich Montag früh mussten sie sich über die finanzielle Situation der beiden einen Überblick verschaffen, die Kontostände und Ähnliches erfragen. Es war erstaunlich, wie viel man über einen Menschen erfahren konnte, indem man die Bewegungen seiner Kreditkarte studierte.
Die Ermittlungsarbeit auf Sandhamn sollte sich darauf konzentrieren, die letzten vierundzwanzig Stunden in Kicki Berggrens Leben nachzuverfolgen. Wann genau sie auf die Insel gekommen war, welche Orte sie aufgesucht hatte und ob sie mit jemandem zusammen gesehen wurde.
Sie mussten so viel wie möglich über die Personen herausfinden, mit denen sie während ihres Aufenthalts auf der Insel in Kontakt gekommen war. Sogar mit der Reederei der Waxholmsfähre und mit Sandhamns Båttaxi musste Kontakt aufgenommen werden. Vielleicht war jemand unter der Besatzung, der sich an sie erinnerte oder wusste, wohin sie gegangen war. Jede Zeugenaussage, mochte sie auch noch so unbedeutend erscheinen, konnte zur Lösung des Falles beitragen.
Als Allererstes wollte Thomas sich jedoch ihre Wohnung ansehen.
Eine Wohnung war wie ein stummer Bericht über denjenigen, der darin gelebt hatte. Am Zuhause eines Menschen konnte man viel über seinen Charakter, seine Lebensumstände, seine Freunde und Feinde ablesen. Vielleicht ließ sich etwas finden, das eine Verbindung zwischen Kicki und Sandhamn herstellte.
Außerdem brauchte Thomas ein besseres Foto von Kicki als das irreführende Passbild. Sie würden es für die Haustürbefragung benötigen, die so schnell wie möglich auf Sandhamn durchgeführt werden sollte.
Nach genauerem Überlegen beschloss Thomas, Carina zu bitten, ihn in die Wohnung zu begleiten. In einem solchen Fall konnte es nützlich sein, eine Frau dabeizuhaben. Sie sah sicherlich Dinge, die ihm selbst nicht auffielen. Er war der Erste, der zugab, kein herausragender Kenner des weiblichen Geschlechts zu sein.
Das war eines der Dinge, die Pernilla ihm bei ihrem letzten Streit vor der endgültigen Scheidung schmerzhaft deutlich gemacht hatte.
Er war ins Bad gekommen, in dem Pernilla mit einer kleinen Windel in der Hand stand. Die hatten sie beim Aussortieren von Emilys Babysachen übersehen.
»Meine Schuld war es nicht«, sagte sie, mit Betonung auf »meine«. Sie hatte einen ganz wilden Blick, als würde sie ihn hassen.
Vielleicht tat sie das wirklich.
Thomas stand da wie vom Donner gerührt.
»Ich habe nie behauptet, dass es deine Schuld war«, erwiderte er.
Sie sah ihn resigniert an, und um ihren Mund zuckte es.
»Seit sechs Monaten wechselst du kein Wort mehr als nötig mit mir. Du fasst mich nicht mal mehr an. Wenn du mich ansiehst, lese ich die Vorwürfe in deinen Augen. Glaubst du, ich habe nicht begriffen, was du denkst?«
Tränen liefen ihr übers Gesicht, sie wischte sie mit einer hilflosen Geste ab.
»Meine Schuld war es nicht«, wiederholte sie leise. »Ich konnte nichts dafür.«
Der Abgrund zwischen ihnen war viel zu tief, als dass Worte ihn hätten überbrücken können. Außerdem hatte Thomas keine Worte. Er war kein Mensch, dem es leichtfiel, über seine Gefühle zu sprechen, und jetzt erst recht nicht. Es war aussichtslos, es überhaupt zu versuchen.
Dass Pernilla verzweifelt danach hungerte, von ihm zu hören, dass er ihr nicht die Schuld gab, hatte er verstanden. Aber jedes Mal, wenn er den Mund öffnete, um es ihr zu sagen, blieben ihm die Worte im Halse stecken.
Tief in seinem Herzen war er davon
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