Tödlicher Mittsommer
packte den Arm seiner Mutter mit unerwarteter Kraft.
»Wie sie aussieht, habe ich gefragt.«
»Immer mit der Ruhe. Du brauchst mich nicht so anzublaffen. Sie ist fast fünfzig, hatte sich wohl gestern Nachmittag erst einquartiert. Lange blonde Haare, sagt Krystyna. Sieht wohl ganz normal aus, denke ich.«
Jonny stöhnte innerlich.
Verdammt.
»Mama, mir geht’s nicht so gut. Ich muss mich wieder hinlegen.«
»Du bist genau wie dein Vater.«
Ellens missbilligender Blick war nicht zu übersehen. Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
Jonny kannte den Gesichtsausdruck nur zu gut. Er verfolgte ihn schon, seit er klein war. Jedes Mal, wenn er oder sein Vater etwas getan hatten, was ihr nicht passte, setzte sie dieses Gesicht auf. Sein Vater hatte ein ganzes Leben lang im Schatten der Missbilligung seiner Frau gelebt.
Einer Missbilligung, mit der Jonny im Moment nicht umgehen konnte.
»Wir reden später«, sagte er abweisend.
»Ich verstehe dich nicht«, klagte Ellen. »Überhaupt nicht.« Der schmale Mund wurde noch schmaler.
»Mama, bitte. Lass mich mal einen Moment in Ruhe, okay?«
»Der Alkohol wird dich noch umbringen, das weißt du.«
Sie hob einen knochigen Zeigefinger und drohte ihm. Stumm sah er, wie ihre Lippen sich bewegten, und wappnete sich innerlich gegen den Wortschwall, der gleich kommen würde, wie er wusste.
Plötzlich hielt er es nicht länger aus.
»Du sollst gehen, hab ich gesagt. Wir können später reden.«
Er schubste sie regelrecht auf die Treppe hinaus und schloss die Tür hinter ihr ab.
Jonny sank auf den Fußboden.
Er konnte seinen eigenen stinkenden Atem schmecken. Altes Bier. Zu viele Zigaretten. Angst, die wie ein Klumpen in seinem Hals saß. Die Zunge wie ein aufgequollener Knebel in seinem Mund. Er musste unbedingt was trinken, um sich zu beruhigen und seine Gedanken zu sammeln.
Er ging in die Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm ein Bier heraus. An die Spüle gelehnt, leerte er die ganze Dose in einem Zug. Anschließend zerdrückte er sie und warf sie mit einer Grimasse in den Mülleimer. Mühsam versuchte er, sich an den gestrigen Abend zu erinnern. Die Bilder waren vage und undeutlich.
Da war diese Schnepfe im Värdshus gewesen. Er hatte sich an ihren Tisch gesetzt, und sie hatten ein paar Bier zusammen getrunken. Nach einer Weile hatte er gefragt, ob sie auf einen Drink oder zwei mit zu ihm gehen wollte. Sie hatten ihre Jacken angezogen und gezahlt. Die Sonne war schon untergegangen, aber es war noch hell, als sie das kurze Stück zu seinem Haus gingen.
Er hatte die Tür aufgeschlossen, und sie waren hineingegangen. Sie hatte sich umgesehen und etwas über seine Blumen gesagt. Er hatte ein paar Bier aus der Küche geholt, und sie hatten sich im Fernsehzimmer aufs Sofa gesetzt. Er hatte sich eine Zigarette angesteckt und gefragt, ob sie auch eine wollte.
Die Braut hatte Kette geraucht und geklagt, sie habe Bauchschmerzen. Sie hatte dermaßen laut gejammert, dass ihm fast die Ohren abgefallen waren.
Sie waren alle beide ganz schön besoffen gewesen.
Nach einer Weile war er dichter an sie herangerutscht. Er hatte den Eindruck gehabt, dass sie es auch wollte.
Wenn die blöde Kuh auf ihn gehört hätte, wäre alles wie am Schnürchen gegangen. Es wäre so einfach gewesen, wenn sie getan hätte, was er wollte. So verflucht einfach.
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Kapitel 19
Kann man einen schönen Samstagabend im Hochsommer besser verbringen als in einem Besprechungszimmer auf einer geschlossenen Polizeidienststelle?, dachte Thomas.
Er starrte düster auf seine Notizen und kam zu dem Schluss, dass das Wochenende für ihn höchstwahrscheinlich gelaufen war.
Während die Spurensicherung den Tatort untersuchte, hatte er Margit angerufen, um sie über die jüngste Entwicklung zu informieren.
Die Neuigkeiten hatten ihr gar nicht gefallen.
Der Alte hatte für den Samstagabend um neunzehn Uhr eine Lagebesprechung angeordnet. Das hatte Thomas ausreichend Zeit gegeben, die Aktivitäten auf Sandhamn abzuschließen und aufs Festland zu fahren.
Jetzt saß er an der Stirnseite des Konferenztisches. Rechterhand saß Margit und links von ihm Carina. Zwei jüngere Polizisten, Kalle Lidwall und Erik Blom, hatten ihr dienstfreies Wochenende ebenfalls unterbrechen müssen.
Der Alte fasste die Situation zusammen.
»Wir haben also ein Opfer, das allem Anschein nach durch massive Gewalteinwirkung gegen den Kopf zu Tode gekommen ist. Dabei handelt es sich um die Cousine des
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