Tödlicher Puppenzauber
Die anderen gruppierten sich um den Wagen herum. Mr. Bing verkaufte nicht nur Puppen, sondern auch alte Puppenstuben, Porzellan, Kerzenständer, doch die meisten Gegenstände im Geschäft waren Puppen.
An bestimmten Stellen der Decke waren Strahler angebracht, die nur die ausgestellten Gegenstände anleuchteten, nicht aber den Hintergrund, wo Suko eine Verkaufstheke sah, an dessen rechter Seite eine alte Eisenkasse einen regelrechten Berg bildete.
Auf dem Tresen stand noch eine Kugelleuchte und gab ihr warmes Licht ab, das über ein Holzregal floß, in dem einige Teller und Tassen ihre Plätze gefunden hatten.
Suko blieb vor dem Tresen stehen und schaute nach links. Dort befand sich ein Durchgang, allerdings nicht einsehbar, weil ein dunkler Vorhang das Rechteck verdeckte. Unter dem Vorhang schimmerte ein schmaler Lichtstreifen durch.
Suko wollte nicht in die hinteren Räume gehen. Deshalb rief er nach Mr. Bing.
»Moment!« antwortete eine dumpf klingende Männerstimme. »Ich bin gleich bei Ihnen.«
»Es eilt nicht!« rief Suko gegen den Vorhang.
Er schaute sich weiter um und entdeckte zahlreiche Kleinigkeiten, die ihm gefielen. Alte Gegenstände, die alle etwas mit Puppen zu tun hatten oder dazu paßten.
Ein alter Eckhängeschrank mit einer Glasfront erregte Sukos Aufmerksamkeit. Auf den beiden mit Stoff bedeckten Regalbrettern lagerten keine Puppen, sondern alte Kleidung, die man den Puppen damals übergestreift hatte. Die Stücke waren teilweise verblichen, aber die Farben hielten trotzdem noch.
Suko hörte, wie sich der Vorhang bewegte. Er drehte sich um und sah aus den dunklen Falten eine Gestalt hervortreten, die ebenfalls dunkel wirkte, bis auf das hellere Gesicht. Der runde Kopf wies Ähnlichkeit mit dem einer Babypuppe auf. Die leicht aufgeblähten Wangen paßten ebenfalls dazu.
So also sah Mr. Bing aus.
Der Inspektor zeigte sich nicht einmal überrascht. Schon bei seinen ersten beiden Besuchen in den Puppenkliniken hatte er Menschen kennengelernt, die etwas verschroben wirkten, dabei aber nicht unsympathisch waren.
Diesen Mr. Bing allerdings wußte Suko nicht so recht einzuschätzen. Er paßte in keine Schublade.
Bing trug einen dunklen Anzug mit zu kurzen Jackenärmeln. Aus ihnen schauten die Hände hervor, die er leicht gekrümmt hielt, aber noch nicht zur Faust geballt hatte. Sein Gang war etwas watschelnd, und die schwarzen Schuhe hätten fast schon in ein Museum gepaßt. Hinter dem Verkaufstresen blieb er stehen, bückte sich und holte eine Puppe hervor, der ein Bein fehlte. Vorsichtig legte er sie auf ein Samttuch.
Er tat so, als sähe er Suko nicht. Erst als er die Puppe gestreichelt hatte, schaute er auf. »Haben Sie sich schon in meinem Geschäft etwas umgesehen, Mister? Sind Sie fündig geworden?«
Suko dachte an seinen eigentlichen Auftrag und schüttelte den Kopf.
»Leider nicht.«
»Schade, ich habe eine sehr gute Ware. Äußerst selten, kann ich Ihnen sagen.«
»Das glaube ich Ihnen gern, Mr. Bing. Ich allerdings suche etwas anderes.«
»Ach ja — was?«
»Auch Puppen.«
»Sonst wären Sie ja nicht hier.« Er lächelte schief.
Suko lauschte der Stimme noch einmal nach und dachte auch an die Aussprache. Mr. Bing sprach nicht wie ein Brite. Er mußte aus einem anderen Land stammen, allerdings wies sein Dialekt in keine Himmelsrichtung. »Ich suche eigentlich etwas Besonderes.«
Bing lächelte. »Das ist mir klar. Jeder Kunde, der etwas Außergewöhnliches oder Besonderes sucht, kommt zu mir. Das kann ich ohne Übertreibung behaupten.«
»Ja, ich hörte, daß Sie einmalig hier in London sind.«
»Stimmt. Aber wo liegt Ihr Problem?«
»Eben in dem Besonderen.« Suko gab sich verlegen und schabte mit den Handflächen über das Holz des Verkaufstresens. »Wissen Sie, ich habe eine besondere Beziehung zu den Puppen. Sie sind mir manchmal wertvoller als Menschen. Dabei werde ich einfach den Eindruck nicht los, daß manche Puppen sehr menschenähnlich sind. Verstehen Sie mich?«
»Nicht direkt.« Bings kleiner Mund zuckte. Vielleicht wollte er lächeln.
»Könnten Sie sich nicht konkreter ausdrücken?«
»Ich versuche es.«
»Bitte. Meine Zeit ist leider etwas begrenzt. Ich muß noch einige Reparaturen an meinen kleinen Lieblingen durchführen. Wenn ich sie operiere, habe ich manchmal das Gefühl, als würde ich bei einem Menschen in das Fleisch schneiden.«
»Richtig«, sagte Suko, »darum geht es mir. Das ist der springende Punkt, Mr. Bing.« Der Inspektor beugte sich
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