Tödlicher Puppenzauber
den letzten beiden Jahren für Spekulanten so ungemein wichtig geworden war.
Es sollte im Osten gebaut werden, und es wurde gebaut. Abgesehen von den gewaltigen Hochhäusern, die Londons Kulisse veränderten, waren auch alte Bauten abgerissen worden, um Platz zu schaffen für elegante Stadthäuser mit ungemein teuren Wohnungen. Aus Fabrikhallen hatten clevere und geldgeile Architekten futuristisch anmutende Blocks geschaffen mit Penthouse-Wohnungen auf den Dächern, die für die meisten Menschen unbezahlbar geworden waren. Eine neue Szene hatte sich gebildet. Yuppies und solche, die sich dafür hielten. Hin und wieder fand man auch normale Künstler, die in noch billigerem Wohnraum saßen, doch die meisten Menschen waren längst ausgezogen und lebten nur in den grauen Vorstädten der Millionenstadt in grauen Wohnblocks.
Eine Schande war es, gegen die selbst Prinz Charles wetterte und verzweifelt versuchte, zu stoppen, was noch zu stoppen war. Suko war zwar nicht in London geboren, er mochte die Stadt jedoch, allerdings nicht, wenn sie derart zerrissen wurde. Er fuhr in Richtung Süden auf der Mansell Street und bog dann in die Portsoken Street ab, eine Einbahnstraße. Sie war das Verbindungsstück zwischen zwei breiten Straßen und doch eine Welt für sich, denn hier hatte sich das alte Leben noch erhalten können.
Jedes Haus sah anders aus, nichts wirkte gleich oder uniform. Die Hausfassaden ähnelten einander überhaupt nicht. Menschen hatten ihnen ihre individuelle Note gegeben, einen bunten Anstrich, oder sie mit Motiven aus der Natur bemalt.
Beklebte Scheiben fielen Suko ebenso ins Auge wie grelle, gemalte Sonnen an den Hauswänden.
Es gab noch die kleinen Läden, wo man kaufte und sich unterhielt und man auch mal anschreiben konnte.
Lieferwagen quälten sich durch die enge Straße. Auf den Gehsteigen spielten Kinder. Verschiedene Laternen waren gelbe Flecke in der allmählich einsetzenden Dämmerung.
Alles in allem eine Straße, in der man noch wohnen konnte, obwohl die Häuser so alt waren.
Allerdings fragte sich Suko, wie lange das noch der Fall sein würde. Den Puppenladen entdeckte er ungefähr in der Mitte. Parken konnte er nicht vor dem Haus und wollte schon vorbeifahren, als er sah, daß ein Kombi eine Parklücke verließ.
In sie rollte Suko hinein und stieg aus.
Zwei Halbwüchsige, die auf einem Außengeländer saßen und qualmten, sprachen ihn an. »Hast du dich verlaufen?«
»Wieso?«
»Deine Edelkarre. Sie paßt nicht hierher.«
»Ich weiß.«
»Dann hau ab, sonst hast du bald zwei Wagen.«
»Das würde ich euch nicht raten, Freunde. Ihr könntet sonst großen Ärger bekommen.«
Sie grinsten siegessichcr. »So wie wir denken die meisten hier. Oder willst du es mit allen aufnehmen?«
Der zweite fragte: »Welches Haus willst du jetzt kaufen, du verdammter Landhai?«
»Ich kenne die Probleme und glaube, daß ihr mich verwechselt. Ich will kein Haus kaufen und auch kein Grundstück. Ich möchte mich nur einmal in dem Puppenladen umsehen.«
»Bei Mr. Bing?«
»So heißt der Besitzer?«
»Ja.«
»Ist er schon lange hier?«
»Ein paar Monate. Vorher verkaufte hier jemand Bier und Schnaps, war aber zu teuer.«
Suko holte Münzen aus der Tasche. »Ihr könnt trotzdem auf meinen Wagen achtgeben.«
»Machen wir.«
»Bis gleich dann.«
Suko ging nach links. Einige Schritte später hatte er den Eingang erreicht. Er betrat den Laden noch nicht, sondern besah sich das Schaufenster, in dem zahlreiche Puppen standen oderauf mit Samt und Stoff bedeckten Kissen hockten. Die meisten der ausgestellten Stücke waren alt und entsprechend teuer. Als Suko genauer hinschaute, sah er innerhalb der Scheibe das feine Drahtnetz einer Alarm-Anlage. Auf der ebenfalls mit Glas eingefaßten Eingangstür stand mit weißer Farbe die Aufschrift ›Mr. Bing's Dolls Paradise‹. Er bezeichnete sein Geschäft als Puppen-Paradies.
Suko stieß die Tür auf. Drinnen läutete eine Glocke. Er ging einen Schritt weiter und ließ die Tür hinter sich langsam wieder zuschwingen. Dann schaute er sich um.
Suko hatte noch nie zuvor in seinem Leben einen derartigen Laden betreten. Er kannte einige Antiquitätenläden und die Geschäfte von Trödlern, aber nicht das eines Puppenhändlers.
Ein Verkäufer oder Mr. Bing persönlich erschienen nicht. Suko hatte Muße, sich umzuschauen.
Die meisten Puppen saßen mitten im Laden auf einem runden Podest. Es war zudem mit einem alten Puppenwagen geschmückt, in dem ein Baby lag.
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