Tödlicher Ruhm
wieder passiert.«
»Diese Möglichkeit ist mir auch schon in den Sinn gekommen.«
»Und ich kann Ihnen versichern, dass es auch unserem kleinen Häufchen von Möchtegerns nicht entgangen ist. Wie finden Sie das?«
»Mord ist kein Publikumssport.«
»Nicht?«, fragte Geraldine. »Na gut. Wenn Sie es sich nicht für Ihre Ermittlungen ansehen müssten, würden Sie es doch trotzdem tun, oder?«
»Nein, das würde ich nicht.«
»Nun, dann sind Sie wohl noch langweiliger, als ich dachte.«
Schweigen breitete sich aus, während sie zusahen, wie die Bewohner die Reste ihrer Mahlzeit wegräumten.
»Wieso machen Sie es Ihrer Meinung nach?«, fragte Coleridge.
»Was meinen Sie denn? Um berühmt zu werden.«
»Oh, ja, natürlich«, sagte Coleridge. »Ruhm.«
Ruhm, dachte er, der Heilige Gral des Profanen Zeitalters. Der grausame, fordernde Götze, der an Gottes Stelle getreten war. Das Einzige. Das Einzige, so schien es Coleridge, was noch etwas zu bedeuten hatte. Die große Leidenschaft, der alles umfassende, nationale Fokus, der neunzig Prozent jeder Tageszeitung und hundert Prozent aller Illustrierten mit Beschlag belegte. Nicht Glaube, sondern Ruhm.
»Ruhm«, murmelte er noch einmal. »Ich hoffe, sie können ihn genießen.«
»Die nicht«, erwiderte Geraldine.
29. Tag 18:00 Uhr
Coleridge saß im größeren der beiden Säle des Bürger-und-Jugend-Zentrums und wartete zwischen all den anderen gespannt darauf, dass er an die Reihe kam. Nachdem er die beiden letzten Nächte größtenteils damit zugebracht hatte, einen echten »grässlich blutigen Mord« zu untersuchen, war er todmüde.
Und nun befand er sich im Reich der Fiktion, doch die Worte der großen »Morgen und Morgen und Morgen«-Rede, einer seiner Lieblingsmonologe, schienen ihm immer wieder zu entfallen.
Er versuchte, sich zu konzentrieren, aber ständig fragten ihn die Leute nach dem Peeping-Tom-Mord. Was natürlich verständlich war, da die Sache in sämtlichen Nachrichten war und alle wussten, dass Coleridge Polizist war. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, ihnen zu erzählen, dass er unmittelbar mit der Tat zu tun hatte. »Ich gehe davon aus, dass meine Kollegen ihr Bestes geben«, sagte er und versuchte, nur daran zu denken, dass er ein armer Schauspieler war, der gleich über die Bühne stolzieren und sich die Haare raufen sollte.
Zu Coleridges enormer Erleichterung hatten die Nachrichtensendungen sein Bild während des Tages nicht gezeigt, außerdem ging er davon aus, dass es auch nicht in der Morgenzeitung erscheinen würde. Er sah einfach nicht genug nach »Oberbulle« aus, um gewürdigt zu werden. Wenn die Presse ein Foto brachte, dann das von Patricia, da eine ansehnliche Polizistin genau das war, was sie brauchten.
Endlich war Coleridge mit dem Vorsprechen an der Reihe, und man rief ihn in einen kleineren Raum, um dort unter Glyns und Vals kritischen Blicken zu spielen. Er gab alles, brachte sogar den Anflug einer Träne zu Stande, als er zu »aus, aus, kleine Kerze« kam. Nichts konnte einen so eindringlich daran erinnern, dass das Leben wahrlich ein »wandelnder Schatten« war, wie der Mord an einem einundzwanzigjährigen Mädchen.
Als er geendet hatte, war Coleridge der Ansicht, er hätte seine Sache gut gemacht.
Glyn schien es ebenso zu sehen. »Das war wundervoll. Absolut wundervoll und sehr bewegend. Sie haben wirklich großen Tiefgang.«
Coleridges Hoffnungen schwangen sich in ungeahnte Höhen auf, wenn auch nur kurz.
»Ich fand schon immer, dass Macduff die Schlüsselrolle im letzten Akt ist«, sagte Glyn. »Es ist eine kleine Rolle, aber dafür ist ein großer Schauspieler nötig. Würden Sie ihn gern spielen?«
Coleridge versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, und sagte, er würde den Macduff liebend gern geben.
»Und da Sie ja nicht viel Text lernen müssen«, warf Val zwitschernd ein, »kann ich Sie doch sicher zum Bühnenbild-Malen und für den Fahrdienst eintragen, oder?«
29. Tag 21:30 Uhr
Folge achtundzwanzig von Hausarrest wurde als 90-Minuten-Special am Abend nach dem Mord ausgestrahlt. Eigentlich hätte es die neunundzwanzigste Folge sein sollen, aber am Tag zuvor hatte es keine Sendung gegeben — teils aus Respekt, teils, weil die Hausbewohner den ganzen Tag auf dem Polizeirevier zugebracht hatten.
Alle, bis auf eine, die im Leichenschauhaus lag.
Zur Special Edition -Sendung gehörten auch die Vorgeschichte des Mordes und der Mord selbst. Es war eine geschmackvolle
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