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Tödlicher Staub

Tödlicher Staub

Titel: Tödlicher Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fünfzig Jahren und hatte ihr Vermögen durch drei Heiraten erworben. Als auch der dritte Ehemann bei einem Jagdunfall tragisch ums Leben kam – ein Jagdgast verwechselte ihn mit einer Wildsau und schoß ihm in den Rücken –, verzichtete Madame auf eine weitere Hochzeit und öffnete ihre Villa für Gesellschaftstreffen, die sie poetisch ›Zirkel für Kunst und Literatur‹ nannte. Nur: Es wurde wenig über modernes Schrifttum gesprochen; was blieb, war die Kunst der körperlichen Vereinigung. Das war das Fundament von Madame Louises Berühmtheit.
    Anwar Awjilah holte Dr. Sendlinger vom Hotel George V. ab und fuhr ihn hinaus in den Bois-de-Boulogne. Bei der Eingangskontrolle gab es keine Schwierigkeiten. Awjilah war bestens bekannt, und derjenige, den er mitbrachte, hatte natürlich die Ehre, sich im ›Roten Salon‹ wohlzufühlen. Schon beim Abgeben seines Mantels an der Garderobe bekam Dr. Sendlinger einen Vorgeschmack auf den ›literarischen Abend‹: Das Mädchen in der Garderobe war barbusig und trug nur einen knappen Tanga an ihrem wohlgeformten Körper.
    Dr. Sendlinger nahm Awjilah zur Seite, bevor sie die Räumlichkeiten betraten. Hinter der großen Flügeltür hörte er ein vielfältiges Stimmengewirr.
    »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« fragte er. Awjilah sah ihn erstaunt an. Welche Frage!
    »Was?«
    »Sie bringen mich in ein Edelbordell.«
    »Das ist eine unschöne Bezeichnung. Wir sind ein Kreis gleich gesinnter Kunstfreunde. Sie werden es erleben, Doktor. Man trifft hier wichtige Leute, hört die neuesten Informationen, man ist ›in‹, wie es heute heißt. Es gibt nichts, worüber hier nicht diskutiert wird. Man tauscht Erfahrungen aus … man ist unter sich. Hier erfährt man Dinge, die nie an die Öffentlichkeit kommen. Wenn man sich dann mit einer Dame in eines der Zimmer zurückzieht, ist das lediglich eine individuelle Fortsetzung der Konversation.«
    Awjilah faßte Dr. Sendlinger am Ellenbogen. »Kommen Sie … Madame wird entzückt sein, Sie kennenzulernen.«
    Louise de Marchandais war eine Persönlichkeit, der man uneingeschränkte Bewunderung zollen konnte. Ihre Schönheit, wenn auch durch ein geschicktes Make-up hervorgehoben, strahlte jedem entgegen, der ihr die Hand küßte und zur Begrüßung einen Blumenstrauß überreichte. Sie sprach mit einer angenehmen Mezzosopranstimme und verbreitete jene Würde, die – das war ihr etwas schief geratenes Vorbild – in den Salons des neunzehnten Jahrhunderts, vor allem in dem der Madame Staël, die großen Künstler und Intellektuellen von Paris angelockt hatte.
    Louise de Marchandais zeigte echte Freude, den Gast aus Deutschland begrüßen zu können, und sagte: »Monsieur, fühlen Sie sich wohl bei mir. Monsieur Awjilah wird Sie mit den anderen Gästen bekannt machen.«
    Eine Dienerin, ebenfalls barbusig, bot ihm ein Glas Champagner an, blickte ihm kokett in die Augen und sagte, als er das Glas von dem silbernen Tablett nahm: »Zimmer sechs.«
    »Ich werde es mir merken«, antwortete er und wußte sicher, daß er das Zimmer sechs nicht betreten würde. Er sah sich um und mußte Awjilah recht geben. Die Gesellschaft war erlesen, die Damen von umwerfender Eleganz, das lange Buffet an der rückwärtigen Wand des ›Roten Salons‹ vom Feinsten, was kulinarische Verlockungen anbetraf. Ob Champagner, Weine oder Cognac, Liköre oder harte Getränke … es war alles vorhanden und gratis. Die Mitglieder des Zirkels mußten einen horrenden Monatsbeitrag zahlen, dachte Sendlinger, um diesen Luxus zu finanzieren.
    In den nächsten Minuten hatte Sendlinger damit zu tun, all die Hände der Leute zu drücken oder zu küssen, die Awjilah ihm vorstellte. Bei einem ergrauten, sehr freundlichen Herrn blieb Sendlinger hängen, da dieser ihm einen Platz an seinem Tisch anbot. Noch ein anderer Gast saß dort, ein schwarzgelockter, eleganter Mann mit einem Adlergesicht, der zu seinem grauen Anzug graue Lackschuhe trug.
    »Mein Name ist Jean Ducoux«, stellte sich der freundliche Herr vor. »Und hier sehen Sie einen der besten Physiker Frankreichs: Monsieur Jérôme Pataneau …«
    »Na, na –«, wehrte Pataneau ab. »Glauben Sie ihm kein Wort … auch wenn er von der Sûreté ist … gerade deshalb nicht.«
    Dr. Sendlinger setzte sich. Sûreté! Das war ein Reizwort. Sûreté … die Geheimpolizei Frankreichs. Was war nicht alles über diese Organisation geschrieben worden: über ihre Schlagkraft, ihre Erfolge, ihre V-Männer und ihre Intelligenz. Man

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